IQNA

Imamausbildung

„Qualität ist wichtiger als Herkunft“

21:05 - January 30, 2019
Nachrichten-ID: 3000740
Wer über die Ausbildung und Finanzierung von Imamen spricht, hat dabei vor allem die DITIB-Imame im Sinn. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit dem Leiter für Außenbeziehungen der DITIB, Zekeriya Altuğ, über die Möglichkeiten und Grenzen einer Imamausbildung in Deutschland.

IslamiQ: Die Imamausbildung ist eines der zentralen Themen der Deutschen Islamkonferenz (DIK). Wie beurteilen Sie das Interesse der Bundesregierung an dem Thema?

Dr. Zekeriya Altuğ: Die Debatte um die Ausbildung von Religionsbeauftragten in Deutschland kann eine Chance sein, um eine Vielzahl von Vorurteilen gegenüber Muslimen zu korrigieren. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Ausbildung von Religionsbeauftragten in erster Linie eine Angelegenheit der Muslime ist und sich an den Bedürfnissen der Muslime orientieren muss.

Indem muslimische Gemeinschaften in Deutschland Religionsbeauftragten aus ihren Herkunftsländern holen, sichern sie die religiösen Dienste in ihren Gemeinden. Gleichzeitig wird seit Jahren aber auch bereits sehr viel unternommen, um die Qualität dieser Dienstleistungen und die Sprachkenntnisse der Religionsbeauftragten zu verbessern. Die DITIB hat den Bedarf früh erkannt und schon vor 12 Jahren im Rahmen des internationalen Theologie-Programms (UIP) ein Projekt gestartet, das in Deutschland geborenen und aufgewachsenen jungen Leuten die Ausbildung zum Religionsbeauftragten ermöglicht. Dieses Engagement darf nicht ignoriert werden. Muslime haben den Bedarf nach Imamen aus Deutschland bereits erkannt und Lösungen entwickelt, noch bevor der Staat überhaupt das Thema zur Sprache gebracht hat.

IslamiQ: Wie beurteilen Sie ein mögliches Verbot der Auslandsfinanzierung von Imamen?

Altuğ: Eine Moschee muss für fünf Gebetszeiten am Tag, sieben Tage die Woche offen sein für Besucher. Darin unterscheidet sie sich z. B. von einer Kirche. Es besteht also ein Bedarf an Vollzeit-Imamen. Doch wie kann dieser Bedarf gedeckt werden? Diejenigen, die einen Stopp der Finanzierung aus dem Ausland fordern, bleiben auf diese Frage die Antwort schuldig.

Unser Grundgesetz untersagt dem Staat Eingriffe in die Inhalte religiöser Dienste, in die Organisation religiöser Einrichtungen und die Bestellung von Religionsbeauftragten oder deren Finanzierung. Der Staat darf selber keine religiösen Dienstleistungen finanzieren und darf aber auch nicht darüber bestimmen, wie Religionsgemeinschaften ihr religiöses Personal bezahlen. All das gilt auch für islamische Religionsgemeinschaften.

Ein Verbot der Auslandsfinanzierung würde nicht nur dem Grundgesetz widersprechen, sondern auch die Grundlagen der Beziehung von Religion und Staat in Deutschland in seinen Grundfesten erschüttern. Selbstverständlich ist die Finanzierung von Religionsbeauftragten mit Blick auf die religiösen Dienste in Deutschland eine wichtige Frage, die auch öffentlich thematisiert werden sollte. Staat und Politik sollten hier aber keine imperative Sprache verwenden.

IslamiQ: Wie sieht die Imamausbildung der DITIB aus?

Altuğ: Für uns ist die Qualität der Ausbildung wichtiger als der Ausbildungsort. Wir, die DITIB, möchten deshalb weiterhin den bestehenden Pool gut ausgebildeter Religionsbeauftragter, die aus der Türkei kommen, nutzen. Denn diese machen eine gute Arbeit. Zwar wird das aktuell nicht thematisiert, weil es politisch nicht gewollt ist, aber von dieser Praxis haben nicht nur Muslime profitiert, auch für die deutsche Gesellschaft war diese Praxis mehr als zwei Jahrzehnte lange ein effizientes Modell.

Die Frage, ob aus der Türkei kommende Religionsbeauftragte mit der hiesigen Kultur ausreichend vertraut sind, und die hier lebenden Menschen mit ihren Bedürfnissen erreichen, ist natürlich berechtigt. Deshalb besuchen unsere Religionsbeauftragten noch während ihrer fachlichen Ausbildung in der Türkei ein fünfmonatiges Seminar, das in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut organisiert wird, und neben Sprachkenntnissen auch Kenntnisse der Kultur, Geschichte und Soziologie Deutschlands vermittelt. Dass dies in Zukunft nicht ausreichen wird, ist offensichtlich, weshalb die DITIB 2006 das Projekt des internationalen Theologie-Studiums (UIP) ins Leben gerufen hat. Damals forderte in Deutschland noch niemand „Imam-Ausbildungen“. Wir waren und sind mit unserem Projekt also Vorreiter.

Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob diese Praxis der Ausbildung junger Deutscher in der Türkei zukünftig ausreichen wird. Im Lichte der bestehenden Ressourcen und Möglichkeiten der DITIB, ist dieses Modell mit Blick auf Umsetzbarkeit und Qualität aktuell das beste Ausbildungsmodell. Weitere Modelle, auch Ausbildungsmodelle in Deutschland sind ebenfalls erforderlich. Welche Möglichkeiten und Konzepte diese sein können, müssen muslimische Organisationen, auch unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Ressourcen und Bedürfnisse, untereinander diskutieren und konzipieren, was ja bereits stattfindet. Wichtig ist, dass die Forderung nach einer Imamausbildung, die ausschließlich in Deutschland stattfindet, keine Qualitätseinbußen im Hinblick auf die Vermittlung von Grundlagen der Religion nach sich ziehen darf. Ebenso darf die Verbindung zur Gemeinde sowie die Akzeptanz des Imams durch diese darunter leiden.

In 10 bis 15 Jahren werden die aus der Türkei oder anderen muslimischen Ländern kommenden Religionsbeauftragten nicht mehr den Bedarf der hiesigen Gemeinden decken können. Noch sind diese eine wichtige Stütze, besonders auch für die erste und zweite Generation der Gastarbeiter, die das Rückgrat der Gemeinden bilden. Bei der dritten und vierten Generation werden jedoch Imame die hier sozialisiert nötig werden. Daher müssen also Qualität und Tradition der Ausbildung der Herkunftsländer auch nach Deutschland transferiert werden, um hier eine ebenso qualitativ hochwertige Ausbildung zu ermöglichen. Dies wird für Deutschland eine Chance und Bereicherung sein. Weiterhin ist es vorteilhaft, verschiedene Ausbildungskonzepte zu erarbeiten und die finanzielle Grundlage zu schaffen, um kompetente Lehrkräfte, etablierte Theologie-Zentren und eine hochwertige Ausbildung unserer jungen Anwärter zu Religionsbeauftragten zu sichern.

IslamiQ: Politiker fordern, dass Imame künftig in Deutschland ausgebildet werden sollen. Wie sehen Sie das?

Altuğ: Natürlich werden bereits in Deutschland Imame ausgebildet und die Zahl wird in Zukunft noch steigen. Das steht außer Frage. Problematisch wird die Forderung, dass in Deutschland nur solche Imame tätig werden sollen, die hier ausgebildet sind. Die Abschottungstendenz, die mit dieser Forderung einhergeht, passt nicht zum Verständnis unserer heutigen Zeit. Die deutsche Gesellschaft betont stets ihre weltoffene, tolerante und demokratische Grundlage. Diese Werte lehren uns gleichzeitig, uns nicht zu verschließen und weltoffen zu bleiben. Das gilt auch für den Umgang mit Muslimen und dem Thema der Ausbildung von Religionsbeauftragten.

Die türkischstämmigen Muslime in Deutschland haben Verbindungen sowohl zu Deutschland als auch zur Türkei. Für uns heißt das: Selbst wenn unsere Religionsbeauftragten in Deutschland sozialisiert sind, sehr gut Deutsch sprechen und hier ausgebildet werden können, bleiben wir trotzdem weiterhin der Kultur, der Sprache und den Traditionen unserer Herkunftslandes verbunden. Deshalb wird auch weiterhin das Bedürfnis und die Notwendigkeit bestehen, Religionsbeauftragte aus der Türkei und anderen muslimischen Ländern nach Deutschland zu holen, die dort ausgebildet wurden, um eine Brücke zu unseren Wurzeln zu bewahren. Ich muss hier wiederholen: Es geht uns am Ende nicht darum, wo die Religionsbeauftragten ausgebildet werden. Aber eine Religionspolitik, welche die islamische Tradition in islamischen Ländern ignoriert, können wir nicht gutheißen.

IslamiQ: Viele Imame kommen aus dem Ausland. Würde ein Verbot nicht die theologische und kulturelle Bindung der Muslime an ihre Herkunftsländer beeinträchtigen?

Altuğ: Ein solcher Versuch wäre, wie überhaupt alle Projekte einer Gesellschaftskonstruktion, zum Scheitern verurteilt. Wenn also Menschen das Bedürfnis haben, Religionsbeauftragte aus den Herkunftsländern zu holen, oder diesen Gehör schenken, wird der Versuch, dies zu unterbinden, nicht nur fehlschlagen, er wird die Menschen auch diskriminieren und tief verletzen. Die Folge wäre eine Abkehr von der Gesellschaft.

Wird die Verbindung zu den muslimischen Ländern gekappt, wird der noch relativ junge Versuch einer Ausbildung in islamischer Theologie in Deutschland davon geschwächt. Ziel sollte es aber sein, diese Bemühungen zu stärken, damit sie künftig Früchte tragen können.

Der Islam hat eine 1400-jährige Tradition. Unsere Aufgabe muss sein, die immensen Erfahrungen, wissenschaftlichen und historischen Errungenschaften dieser gesamten Zeitspanne hierher zu transferieren, und uns durch gegenseitigen Austausch zu bereichern. Wenn sich eine Seite diesem Austausch von Anfang verschließt, wird das nicht gelingen und wir verlieren sehr viel.

IslamiQ: Wie reagieren die DITIB-Gemeinden auf die neuen Forderungen bez. der Imamausbildung?

Altuğ: Die muslimische Gemeinschaft sieht die derzeitige Verteufelung der ausländischen Religionsbeauftragten, die in ihren Gemeinden tätig sind, sehr kritisch. Dass allein die Herkunft eines Religionsbeauftragten zum Problem erhoben wird, verletzt die Menschen. Für sie stehen andere, viel drängendere Fragen im Vordergrund: Unterrichtet der Religionsbeauftragte in meiner Moschee meine Kinder gut? Bemüht er sich um die Jugendlichen und versucht sie von schlechten Angewohnheiten und Einflüssen fernzuhalten? Kann er ihnen das religiöse Wissen effizient und richtig vermitteln? Unterstützt er mich, wenn ich eine Frage oder eine Sorge habe? Steht er mir spirituell bei? Wir brauchen Religionsbeauftragte, die den Erwartungen und Bedürfnisse dieser Menschen genügen. Unsere Mitglieder in der Moschee sind eher an der Lösung ihrer Probleme interessiert, anstatt sich damit zu befassen, wo die Religionsbeauftragten herkommen, welche Forderungen die Politik stellt, oder ob Lösungsansätze mit dem Religionsverfassungsrecht vereinbar sind.

Für die erste und zweite Generation unserer Gemeindemitglieder sind Imame, die aus der Türkei kommen, immer noch unverzichtbar. Selbstverständlich steigt der Bedarf an Imamen, die hier sozialisiert sind stetig. Religionsbeauftragte, die das hiesige Bildungssystem, die soziale und gesellschaftliche Struktur in Deutschland kennen, um Lösungen für die Probleme unserer Jugendlichen anbieten zu können werden immer wichtiger. Unser bisheriges Ausbildungsangebot reicht natürlich noch nicht aus, um diesen Bedarf sofort zu decken. Wir müssen auch andere Formate diskutieren. Dazu sind ernste Bemühungen von allen Seiten notwendig. Der Tonfall, in dem diese Debatte derzeit geführt wird, trägt aber eher dazu bei, dass sich unsere Leute innerlich distanzieren und von der Gesellschaft bevormundet fühlen.

 

http://www.islamiq.de/2019/01/30/qualitaet-ist-wichtiger-als-herkunft/

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