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Ich sah nichts außer Schönheit

21:47 - February 01, 2019
Nachrichten-ID: 3000755
Von Yamin Naqvi

Wieder jährt sich das tragische Martyrium Fatima Zahras (a.), der zarten Blume des Propheten (s.), dem idealen Vorbild der Frau, der Mutter der Imame (a.) und der Unterstützerin des Amir al-Mu’minin (a.). Jener Masuma, deren Trauerklagen nach dem Dahinscheiden des Propheten (s.) die Mauern Medinas erzittern ließen. Dazu möchte ich euch allen kondolieren.

So oder ähnlich könnte ein Vortrag über die Herrin der Frauen der Welten beginnen. Man könnte die Geschichte ihres Martyriums erzählen, wie sie seit Jahrzehnten und Jahrhunderten Jahr für Jahr erzählt wird. Man könnte darüber erzählen, wie sie ihre Haustür verbrannten, obwohl sie wussten, dass sich Fatima, Imam Ali und deren reine Nachkommenschaft im Haus befanden. Wie Sayyida Zahras Rippen gebrochen wurden, wie sie ihr Ungeborenes Muhsin verlor, als sie zwischen Tür und Wand gequetscht wurde. Wie sie gepeitscht wurde und letztendlich an den Folgen der Grausamkeiten ihrer Peiniger schon bald ihrem Vater, den besten aller Menschen, in eine bessere Dimension folgte. Es ist Zahra, der all dies widerfuhr. Es ist Fatima, die am Boden liegt und gepeitscht wird. Es ist die Sayyida, die solch Grausamkeit erfährt, dass sie wenige Zeit später an den Folgen das Martyrium erlangt. Diese Begebenheit beinhaltet keine geringere Trauer als die von Kerbala.

In Kerbala ist es der Sohn Hussein von genau jener Zahra, der ebenso von Muslimen bekämpft wird, dessen Familie ausgelöscht wird, der mit Steinen und Speeren beworfen, mit Pfeilen durchbohrt wird und letztendlich ebenso wie Zahra am Boden liegt, in seiner letzten Niederwerfung vor Allah (swt.), bevor ein Muslim ihm den Kopf abtrennt.

Und es ist die Tochter von Zahra, die großartige Heldin Zaynab, die all dies mit ansieht und miterlebt. Nicht nur in Kerbala, sondern auch in Medina. Die kleine Zaynab ist ungefähr sechs Jahre alt, als sie die Szenen in Medina miterlebt und um die fünfzig, als sie Zeugin des Martyriums ihres Bruders Hussein in Kerbala wird. Sie wird in Ketten gelegt und entschleiert. Durch die Basare wie eine angebliche Verbrecherin vorgeführt.

Die Mörder von Kerbala waren nicht minder grausam als die Mörder von Medina. Vor den Augen hat sie die Szenen, die sie niemals vergessen wird. Medina und Kerbala. Und dennoch – in ihrem Blick, in ihren Worten ist etwas, was sie stärkt. Als sie letztendlich mit den anderen Gefangenen vor den verkommenen Herrscher Yazid vorgeführt wird, schildert einer der Soldaten Yazids seine Grausamkeiten in allen Einzelheiten. Zaynab wird gefragt: „Wie hast du den Tod deiner Sippe und deines Bruders erlebt?“

Ihre Antwort erstaunt und erschreckt die Mörder. Aus ihr spricht eine Überzeugung und Kraft, die die Logik der Macht niemals begreifen kann. Die große Zaynab spricht: „Ich sah nichts außer Schönheit!“

In Gedanken sieht sie Kerbala. Sie sieht die aufrichtigen zweiundsiebzig Gefährten versammelt um den Imam ihrer Zeit (a.). Sie sieht, wie ihre Lippen ein Lächeln in Gewissheit umspielt, in der Stunde des Martyriums. Ihre Entschlossenheit ist ihre Stärke. Ihre Überzeugung ihr Mut. Ihre Gewissheit lässt sie wissen, dass der Weg mit dem Imam – wohin er auch führen möge – das Heil ist. Er ist das Heil der Seele, des Geistes, das Gleichgewicht zwischen der Triebseele und dem Geist Gottes. Es ist das Heil, das die Triebseele mit dem Geist Gottes im Menschen verschmelzen lässt. Sodass der Körper, die materielle Existenz, nichts weiter als ein Werkzeug Gottes wird. Und wenn dieses Werkzeug eingesetzt wird, um die Wahrheit zu verteidigen, den Imam zu schützen – so erlangt der Mensch die höchste Stufe des Daseins und wird befreit von seiner animalischen, niederen Existenz.

Sie denkt an Medina. Sie sieht, wie der Imam der Zeit, der große Held der Menschheit Ali ibn Abi Talib (a.) zur Tür eilen will, als die Schergen des Unrechtsherrschers ihn gewaltsam zum Treueid zwingen wollen. Sie sieht die Hand des Imams am Griff seines berühmten Schwertes Zhulfiqar. Noch hat er das Schwert nicht gezogen, als er die liebevolle Stimme Fatimas hört: „Ali!“

Ihr Ehemann hält inne, erwidert liebevoll den Blick Fatimas. Sie sagt. „Lass mich heute nicht als deine Frau handeln, sondern als Hüterin der Wilaya. Lass mich heute als deine Schiitin handeln, Ali. Lass mich heute jenen, die die Worte des Propheten (s.) in Ghadir Khumm vergessen haben, zeigen, was die Pflicht der Umma ist. Du bist mein Imam, Ali! Und ich bezeuge, dass du das durch Allah (swt:) auserwählte Oberhaupt bist. Es ist meine Pflicht als Muslima, meinen Waliy zu verteidigen. Was die Pflicht jedes Muslims ist, o Ali, lass mich heute der Umma zeigen. Heute bin ich die Hüterin der Wilaya.“

Dann erinnert sich Zaynab, wie die Verbrecher noch immer vor der Tür wüten und ein Streit entbrennt. Sie streiten, ob das Haus verbrannt werden darf oder nicht. Indessen lässt der Imam sein Schwert zurückgleiten und legt es ab. Ein Lächeln umspielt die Lippen Fatimas, sie nähert sich der Tür. Der aufsteigende Rauch von der Tür ist unübersehbar. Draußen hat ein Verbrecher bereits Feuer gelegt. Ein anderer ist dabei, die Tür mit Gewalt zu öffnen. Und dann geht alles sehr schnell. Zaynab sieht, wie die Schergen hereinstürzen. Sie sieht ihre Mutter zwischen Wand und Tür gedrückt. Sie sieht, wie sich einige auf den Imam der Zeit stürzen und ihm Fesseln anlegen. Sie hört, wie Fatima protestiert, obwohl sie schwer verletzt ist.

In all dem Durcheinander aber spürt sie die Stärke Fatimas. Fatima, die heute die Hüterin der Wilaya ist. Sie sieht, wie Fatima trotz größter Schmerzen zu Ali läuft. Einer der Angreifer schlägt mit der Peitsche nach ihr, er prügelt auf die hochschwangere Tochter des Propheten (s.) ein, bis sie am Boden liegt. Dann wollen sie den Imam nach draußen zerren. Doch Fatima ist eine Schiitin. Sie ist das Vorbild für jeden Muslim. Und heute will sie der Umma zeigen, dass es die Pflicht jedes Muslims ist, seinen Imam und Waliy zu beschützen. Am Boden liegend greift sie zu Alis Aba, seinem Umhang. Sie hält ihn so fest, dass mehrere Männer ihn nicht wegzerren können, ohne dass Fatima am Boden mitgezerrt wird. Sie schreien sich gegenseitig an, beschimpfen sich. Sie sind wütend, aber sie haben auch Angst. So können sie Ali nicht mitnehmen, solange Fatima mitgezerrt wird.

Wenn die Muslime die Tochter des Propheten (s.) in diesem Zustand sehen würden, könnten sich einige vielleicht doch an die Worte in Ghadir erinnern. Aus Verzweiflung zieht nun ein Scherge seine Peitsche. Er schlägt auf Fatimas Hand und Arm ein, damit sie endlich loslässt. Völlig entkräftet entgleitet Fatima der Umhang Alis (a.). Sie zerren ihn weg. Bevor Fatima wegen der Schmerzen bewusstlos wird, kann sie noch ihre Bedienstete rufen: „Fiddha! O Fiddha, hilf mir, ich habe mein Kind verloren.“ Aber das ist nicht die eigentliche Trauer Fatimas. Der sehnsüchtige Blick nach dem Imam entgeht Zaynab nicht. Und heute ist Zaynab die Hüterin der Wilaya und weist den Muslimen den Weg, wie man den Waliy seiner Zeit zu schützen hat. Sie blickt zu Yazid und wiederholt voller Überzeugung: „Ich sah nichts außer Schönheit!“

 

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