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USA unter Schock: Franziskus’ Kampf gegen Pädophile spaltet katholische Kirche

0:25 - March 07, 2019
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In Australien gibt am Mittwoch ein Gericht das Strafmaß gegen Kardinal George Pell bekannt. Der Australier - einst als Finanzchef die Nummer drei im Vatikan - war zuvor des sexuellen Missbrauchs von zwei minderjährigen Jungen schuldig gesprochen worden.

Der verurteilte Prediger will das Urteil anfechten, und dabei hat er viele einflussreiche „Verbündete“ in der Römisch-Katholischen Kirche. Wozu diese bereit sind, um den Papst in dessen Kampf gegen Pädophilie zu besiegen, erzählt Sputnik in diesem Beitrag.

 

Skandalöses Urteil

Die Anhängerschaft des Kardinals hat eine große Kampagne eingeleitet, um ihn zu unterstützen. Etliche Medien verwiesen beispielsweise darauf, dass die Gerichtsverhaltung, in der Pell als Kinderschänder anerkannt wurde, und die ganze Ermittlung generell mit diversen Verstößen gegen die Prozessgesetzgebung verlaufen seien. Unter anderem behauptete seine Verteidigung, dass nicht alle Opfer bei der Sitzung dabei gewesen wären, während Geschworene den Opfern aufs Wort geglaubt hätten, ohne sich die Mühe zu geben, ihre Aussagen zu überprüfen.

Pells Gegner behaupteten ihrerseits, dass viele von seinen Opfern ganz banal eingeschüchtert worden seien, und das sei eben der Grund für ihr langjähriges Schweigen (es handelt sich um Zwischenfälle aus den mittleren 1990er-Jahren) und für ihre Hemmung bei den Aussagen. Und der Schuldspruch gegen den Kinderschänder sollte nach ihrer Auffassung zum Anlass für viele andere Pädophilen-Opfer werden, mutiger zu sein. So war das beispielsweise im Fall eines Australiers namens David, der erst vor wenigen Tagen Pell beschuldigt hat, dieser hätte ihn bereits in den 1970er-Jahren vergewaltigt.

Gerade aus Angst, dass Opfer und Zeugen unter Druck gesetzt werden könnten, haben die australischen Behörden darauf bestanden, die Gerichtsverhandlungen hinter geschlossenen Türen stattfinden zu lassen. Dass Kardinal Pell für schuldig erklärt worden ist, kam erst Ende Februar ans Licht, wobei das Urteil noch im Dezember gefällt worden war. Jetzt muss beschlossen werden, wie viele Jahre der sündige Priester im Gefängnis zu verbringen hat.

Der Prozess hat das Land gespalten: Manche bestehen darauf, dass der Kinderschänder hinter Gitter gehört; andere halten das ganze Aufsehen für den Teil einer großen Kampagne zur Verleumdung der Römisch-Katholischen Kirche. Es gibt inzwischen auch erste Opfer dieses „Krieges“: Der Präsident der Australischen Katholischen Universität, Greg Craven, wurde für seine öffentliche Unterstützung Pells entlassen. „In seinen Kommentaren zum Urteil gegen den Kardinal wurden Opfer der grausamen Behandlung außer Acht gelassen. Cravens Erklärung war alles andere als positiv für das Wiederherstellen des Vertrauens zur Kirche“, erläuterte die Universitätsführung diese Entscheidung.

 

Wütende Opfer

Gleichgültigkeit gegenüber Opfern der Pädophilie wurde sogar dem Papst Franziskus persönlich vorgeworfen, der auf den ersten Blick einen richtigen „Kreuzzug“ gegen dieses Übel ausgerufen hatte. Etliche Opfer selbst haben eine viertägige Protestaktion in Rom organisiert. Der Anlass war eine Ende Februar stattgefundene Konferenz, die dem Kampf gegen sexuelle Belästigung in der Kirche gewidmet war.

Im Vorfeld hatten viele erwartet, dass sie historisch werden könnte: Der Pontifex beschloss, Gewaltopfern das Wort zu geben. Und eine Quelle in der Vatikanstadt schloss „revolutionäre Entscheidungen“ im Kontext der Pädophilie-Bekämpfung nicht aus.

Doch es wurden keine solchen Beschlüsse getroffen.

Die Konferenz wurde nur dadurch auffällig, dass die einstigen Gewaltopfer sich empörten, dass Papst Franziskus keinen konkreten Aktionsplan präsentiert habe. Er habe nicht einmal versprochen, „den Vatikan von diesem Übel zu befreien“ – nur jeden einzelnen Fall der sexuellen Belästigung von Minderjährigen „maximal ernsthaft“ zu behandeln.

Ein Teilnehmer der Konferenz verglich das Vorgehen des Papstes mit dem seines Vorgängers Johannes Paul II. im Kontext der Ermittlung der US-amerikanischen Zeitung „The Boston Globe“ im Jahr 2002. Ihre Reporter hatten ein umfassendes Schema aufgedeckt, wie die Römisch-Katholische Kirche etliche Fälle der Kinderschändung vertuscht hatte.

„Katholiken aus aller Welt verlangen konkrete Reformen, und der Papst gibt nur nebulöse Versprechen, die wir schon früher gehört haben“, sagte Anne Doyle von der Organisation Bishop Accountability, die derartige Fälle beobachtet.

Neben der strengen Verurteilung der Kinderschänder unter Geistlichen verlangen die Opfer, dass solche Fälle maximal transparent behandelt werden.

 

USA gegen Papst Franziskus

Der Pontifex beklagt sich seinerseits über seine Bischöfe, weil sie gegen „Satans Waffe“ (so nannte er Pädophilie) nicht kämpfen wollen. In diesem Kontext brach sogar sein Konflikt mit der Konferenz katholischer Erzbischöfe in den USA aus, die als reichste und einflussreichste in der ganzen Römisch-Katholischen Kirche gilt.

Anfang dieses Jahres wandte sich Franziskus an die amerikanischen Bischöfe mit einem Brief, in dem er sie zur Überwindung ihrer internen Kontroversen aufforderte, damit sie sich ernsthaft mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs befassen. Allerdings war sein Brief eher friedlich und mit etlichen Zitaten aus der Bibel gefüllt, als würde es zwischen dem Vatikan und den USA überhaupt keine Kontroversen geben.

„Der Verlust des Vertrauens zur Kirche weckt auch schmerzhafte Fragen dazu, wie wir uns zueinander verhalten“, betonte Franziskus.

Und während sich die amerikanischen Priester mit seinem Brief bekannt machten, hat der Vatikan den ehemaligen Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, als Kinderschänder anerkannt, der eine große Autorität unter Geistlichen und Gläubigen genoss.

„Ich war mit McCarrick persönlich bekannt, und wenn man mir gesagt hätte, er hätte mit solchen Verbrechen etwas zu tun gehabt, hätte ich mich sehr gewundert“, sagte dazu der russische Religionsexperte Alexej Judin gegenüber Sputnik. „Und in Amerika löste das einen großen Schock aus. Also ist das Verhalten zu solchen Beschuldigungen selbst innerhalb der katholischen Kirche unterschiedlich.“

 

Wenn man auf den Papst nicht hört

Die amerikanische katholische Kirche ist an sich eine sehr starke Vereinigung, die keine Angst hat, mit dem Papst Franziskus, seiner Administration und der Römischen Kurie zu streiten. Und in letzter Zeit orientieren sich auch andere Bischofskonferenzen an den Amerikanern.

„Das ist eine der Folgen der Kirchenreform, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil (fand von 1962 bis 1965 statt) ausgerufen wurde. Während früher für alle Fragen die Kurie zuständig war, werden verschiedene Fragen inzwischen an verschiedenen Orten geregelt“, so Experte Judin. „Meinungen könnten dabei unterschiedlich sein. Und es ist sehr schwer, die Situation um den Kampf gegen Pädophilie in Ordnung zu bringen. Jetzt können verschiedene einflussreiche Kirchenvertreter dem Papst höchstpersönlich sagen: ‚Wir sind einer anderen Meinung zu dieser Frage‘.“

Es komme sogar zu offenen Aufrufen zu einer außerordentlichen Konklave – sprich zum Misstrauensvotum gegenüber dem Papst, erläuterte Judin.

Die Spaltung innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche, zu der es de facto vor dem Hintergrund der zahlreichen Sex-Skandale gekommen ist, könnte bald Realität werden. Der Kampf gegen die Pädophilie, den der Papst quasi ausgerufen hat, könnte böse Folgen für ihn selbst haben.

 

https://de.sputniknews.com/religion/20190306324222174-vatikan-paedophile-kampf/

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