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Islamische Ethik

Das Menschenbild des Propheten

8:00 - December 30, 2018
Nachrichten-ID: 3000604
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Eine Zeit, in der viele Menschen ihr Jahr Revue passieren lassen und sich vornehmen besser zu werden. In den Augen der Muslime war der Prophet Muhammad (s) der beste Mensch. Wie hat er das Menschsein definiert, was war ihm wichtig? Ein Gastbeitrag.

Wie ist das Gottes- und Menschenbild im Islam? Diese Frage wird oft gestellt, jedoch zumeist unzureichend und knapp definiert. Neben allgemeinen Aussagen über Gott, die Erschaffung der Welt sowie den Menschen als Statthalter der Erde wird üblicherweise über das Spannungsverhältnis Gott-Mensch und Freiheit-Verpflichtung gesprochen. Statt den herkömmlichen Erklärungen soll diesmal ein menschliches Menschenbild erzählt werden.

In den Darstellungen unseres Propheten Muhammad (s) ist ein ethisch verantwortetes Menschenbild aufzufinden, welches fünf Grundsätze umfasst.


Der Mensch ist kein Engel, sondern bleibt Mensch

Als erstes muss klargestellt werden, dass der Prophet Muhammad (s) neben den Verkündigung als Propheten seine menschliche Seite immer hervorhob und so mit seiner unvergleichlich nahen und charismatisch Menschlichkeit als Vorbild erschien. Als eine Person eines Tages vor ihm stand und dabei zitterte, sagte er: „Bleibe ruhig, denn ich bin kein König. Ich bin nur ein Sohn einer Frau, die [wie alle anderen auch] Trockenfleisch aß.“ An einem anderen Tag sagte er: „Ich bin auch nur ein Mensch. Genau wie ihr auch erinnere ich mich manchmal und vergesse“.

Menschen sind keine Engel und machen natürlicherweise Fehler, neigen zur Unachtsamkeit und zum sozialen Fehlverhalten. Umso wichtiger wird es, solchen Taten mit Verständnis und Geduld entgegen zu kommen. Eine Unachtsamkeit in unserem zwischenmenschlichen Handeln ist zum Beispiel, dass wir Menschen, die wir ehren und lieben, auf eine höhere Stufe setzen als sie sind. Bei der Verehrung das Maß zu überschreiten gehört nicht in das Menschenbild des Propheten. Er selbst betonte immer wieder, dass er zuerst Diener, dann Prophet Gottes sei. Er ermutigte seine Gefährten, sich vor Gott, den Menschen und seiner Umwelt gegenüber ordentlich und maßvoll zu benehmen.


Der Mensch ist nicht wertlos, sondern wertvoll

Jeder Mensch ist einzigartig und von hohem Wert. In den Augen Gottes wird er als das höchste und liebste Wesen gekennzeichnet und mit Befugnissen über die Schöpfung ausgestattet. Das Geheimnis der anziehenden Magie des Propheten lag darin, jedem Menschen als Mensch und mit gebührendem Respekt zu begegnen, ganz gleich ob arm oder reich, groß oder klein, Kommandant oder Sklave. Eine Geschichte, die diese Eigenschaft verdeutlicht ist die Geschichte von Bilal, einem schwarzen Sklaven, der wie ein dressiertes Haustier von reichen Kindern- an Halsketten gebunden- durch die Straßen geschleift wurde. Der Prophet nahm ihn auf und er wurde zu einem seiner treuesten Weggefährten und hat die historische Möglichkeit gehabt auf dem Dach der Ka’ba den Gebetsruf auszurufen. Damit erreichte er auf ein Streich einen doppelten Zweck, nämlich die Gesellschaft wachzurütteln, Gleichberechtigung zu schaffen und Rassismus zu bekämpfen.

Ein Gefährte berichtet, dass in dem Moment, wo ein Leichnam in einem Sarg davongetragen wurde, der Prophet aufstand und dem Toten die letzte Ehre erwies. Auf die Reaktion, der Verstorbene sei kein Muslim, antwortete er: „Ist er etwa kein Mensch?!“.

In unserer heutigen Welt scheint es, als hätten wir keine Zeit mehr für wahre Wertschätzung. Krieg und Leid lassen uns kalt. Unser Mitgefühl wird zermalmt durch den Luxus unserer oberflächlichen Gesellschaft. Obwohl Kühlschrank und Vorratskammer gefüllt sind, verhungern wir seelisch. Wir vereinsamen trotz gigantischem Konsum „sozialer“ Netzwerke.


Der Mensch ist nicht ungezügelt, sondern verpflichtet

„Meint denn der Mensch etwa, dass er unbeachtet gelassen wird?“ Im Schatten dieses Verses wird verständlich, dass Gott die Menschen erschuf, ihnen die Erde zur Verfügung stellte und sie verpflichtete. Hier muss festgestellt werden, wie diese Verpflichtung auszusehen hat. In der vorislamischen Zeit waren für die Menschen auf der arabischen Halbinsel kaum Grenzen gesetzt. Blutfäden, Herabwürdigung der Frau, Tötung von jungen Mädchen, Bevorzugung von Jungen, Missachtung ethischer Normen im Geschäftswesen und grobe soziale Ungerechtigkeiten, insbesondere den Schwachen gegenüber. Der Islam hat ohne Zweifel eine gewisse Disziplin in die Verhaltenswelt der Menschen gebracht und ihnen gezeigt, dass ein ungezügeltes, tierisches Verhalten dem Menschen nicht würdig ist. Die Würde des Menschen kristallisiert sich demnach aus dem Umgang mit Mitmenschen und dem Verhältnis seines Schöpfers gegenüber.


Der Mensch ist ein Edelstein

Ein wunderschöner Ausspruch des Propheten besagt folgendes: „Menschen sind wie Edelsteine. Jene, die in der vorislamischen Zeit vorzüglich waren, werden weiterhin ein Ansehen genießen [während andere sich dies erst erarbeiten müssen]. Das Prinzip besteht nur darin, den Islam richtig aufzufassen.“

Hieraus lassen sich folgende Prinzipien ableiten: Jeder Mensch ist vergleichsweise wertvoll wie ein Edelstein, daher ist keiner wertlos. Der Prophet wertschätzte diese Grundeigenschaft und behandelte sie nach diesem Wert. Allerdings besteht jeder Edelstein aus anderen Materialien, so haben Menschen verschiedenste charakterliche Züge, Denkweisen und Voreinstellungen, Stärken und Schwächen. Daher kann nicht von jedem jede Leistung erwartet werden. Ein Edelstein kann nur von einem Erzgräber entdeckt und unter erheblichen Anstrengungen abgebaut werden, so bearbeitete der Prophet in den zwei Jahrzehnten seiner Gesandtschaft geduldig die Menschen um ihn herum. Bei der Erziehung und Bildung einer vorbildlich muslimischen Gemeinde achtete der Prophet darauf, verschiedene Charaktere festzustellen. Einige von ihnen hatten vor ihren Eintritt in den Islam schon vorzügliche Wesensarten, so dass sie sich z.B. von alkoholischen Getränken und heidnischen Gebräuchen fernhielten, wie Abu Bakr, dem wohl engsten Gefährten des Propheten. In der ersten Zeit der Verkündigung sprach er bewusst mit jungen Leuten, die- wie er- bereitwillig, mutig und gesellschaftlich engagiert waren, um zunächst qualitative Edelsteine zu filtern und sie im Nachhinein für die Bewegung einzusetzen.


Der Mensch ist kein Nomade, sondern zivilisiert.

Ein Blick auf die Verhaltenswelt des Propheten genügt, um zu begreifen, wie es sich in seiner Gemeinde verhielt. Er war stets derjenige, der die Begrüßung aussprach, seine Hand ausstreckte und als letzter losließ, um einen nachhaltig-positiven Eindruck zu hinterlassen. Wenn er mit jemandem sprach, drehte er sich mit ganzem Körper ihm zu, schaute in seine Augen, redete langsam und bedacht und hörte ruhig und geduldig zu. Nie streckte er neben anderen seine Beine aus oder saß in einer unschönen Position. Kam er in eine Gesellschaft herein, so setzte er sich dorthin, wo noch Platz war und störte nicht. So kam es vor, dass Fremde allzu oft in die Runde fragen mussten, wer denn nun der Prophet sei, da er genau so aussah wie sie und sich in Form und Kleidung kaum von seiner Community unterschied. Er rief seinen Gefährten mit schönen Spitznamen zu, lobte sie und verzieh ihre Fehler, so dass jeder von sich behauptete, vom ihm am meisten geliebt zu werden.

Heutzutage gilt es als „cool“, sich wie ein Angeber auszugeben, Macht zu demonstrieren und den anderen zu erniedrigen, um selber im Rampenlicht zu stehen. Und es beginnt bereits in der Schule, wo Mobbing und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung stehen. Draufgänger werden als Helden gefeiert, während man sich über feinfühlige und höfliche Männer lustig macht.

In unserer urbanen Wüste nun wandern wir umher, lauernd und durstend nach der Quelle des Anstands.

 

http://www.islamiq.de/2018/12/29/das-menschenbild-des-propheten/

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