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Eine westliche Iran-Ikone und die Frage, ob man Imam Chamenei beleidigen darf

16:22 - March 13, 2019
Nachrichten-ID: 3000942
In der Islamischen Republik Iran gibt es – wie in jedem anderen Rechtsstaat – jeden Tag hunderte von Urteilen gegenüber Rechtsbrechern. Zweifelsohne sind jeden Monat auch einige darunter, die man in Deutschland unter dem Begriff Volksverhetzung, Vorbereitung einer schweren Straftat, Spionage und ähnliche subversive Straftaten einstufen würde. Umso mehr lässt es aufhorchen, wenn in einem einzigen Fall die westlichen Medien derart laut aufheulen, dass selbst deutsche Politiker sich genötigt fühlen, sich öffentlich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen.

Ein Beitrag von Yavuz Özoguz

 

In der Islamischen Republik Iran gibt es – wie in jedem anderen Rechtsstaat – jeden Tag hunderte von Urteilen gegenüber Rechtsbrechern. Zweifelsohne sind jeden Monat auch einige darunter, die man in Deutschland unter dem Begriff Volksverhetzung, Vorbereitung einer schweren Straftat, Spionage und ähnliche subversive Straftaten einstufen würde. Umso mehr lässt es aufhorchen, wenn in einem einzigen Fall die westlichen Medien derart laut aufheulen, dass selbst deutsche Politiker sich genötigt fühlen, sich öffentlich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen.

Schauen wir zunächst auf die „Fakten“ oder „Fakes“ – je nach Sichtweise, die in der westlichen Presse verbreitet worden sind. Dabei beschränken wir uns nicht auf die prozionistische Springer-Presse, die bereits mit ihrer Überschrift deutlich macht, dass sie nicht gewillt ist von ihrem deutschlandschädigenden Lügenkurs Abstand zu nehmen: „Anti-Kopftuch-Anwältin im Iran verurteilt Peitschenhiebe und 38 Jahre Kerker!“ [1] Die Überschrift dieses Schundblatts, das eine Schande für jeden demokratischen Rechtsstaat ist, besteht aus neun Worten von denen fünf eine Lüge sind. Was bitteschön ist eine Anti-Kopftuch-Anwältin? Ist damit gemeint, dass sie selbst ungern Kopftuch trägt? Warum zeigt die Bildzeitung sie dann mit Kopftuch, zumal sie in ihren Archiven über hinreichend Fotos der Anwältin ohne Kopftuch verfügt. Oder ist damit gemeint, dass sie sich als Anwältin dafür einsetzt, dass im Iran die Kleiderordnung verändert wird? Oder vertritt sie Frauen, die in der Öffentlichkeit gegen das Gesetz verstoßen haben? Oder ist das eine neue Propagandaberufsbezeichnung der Bild-Zeitung gegen den Islam und die Muslime, wie Dutzende andere Begriffe, die von diesem Schundblatt vorher erfunden worden sind? Weder wurde die Frau zu Peitschenhieben verurteilt noch zu 38 Jahren. Und Kerker gibt es im Iran auch nicht.

Wechseln wir daher zu der als etwas seriöser geltenden Presse. „Die Zeit“ schreibt: „Iranisches Gericht verurteilt Menschenrechtlerin zu sieben Jahren Haft“. In fast allen Berichten ist die Frau, die Nasrin Sotudeh heißt, eine „renommierte Menschenrechtsaktivistin“ [2]. „Die Zeit“ erläutert aber nicht, dass jene Frau in der Westlichen Welt renommiert ist, nicht aber im Iran, wo sie nur westaffine Kreise kennen. In einem Satz des Berichtes wird allerdings deutlich, warum dieser Fall für die Westliche Welt einen anderen Charakter hat als hunderte andere Fälle: „Sie arbeitete hauptsächlich als Anwältin für Dissidenten.“ Ein Blick in ihre Klientel eröffnet dem iranischen Staatsschutz Hinweise und Möglichkeiten, die der Westlichen Welt sehr weh tun könnten.

Was ist sonst über diese Frau bekannt: Sie wird seit 2008 regelmäßigen mit westlichen Preisen überschüttet. Das ist inzwischen in vielen Fällen ein untrügliches Zeichen dafür, dass die betroffene Person für westliche Geheimdienste tätig sein könnte und mit diesen Preisen geschützt werden soll. Denn viele andere, die sich viel intensiver und aufrichtiger für die Menschenrechte im Iran einsetzen, sind im Westen gänzlich unbekannt, da sie nicht für „Westliche Werte“ eintreten und somit nicht an der Seite der Imperialisten stehen. Frau Sotudeh erhielt 2008 einen von einer italienischen Menschenrechtsgruppe vergebenen International Human Rights Award, 2011 den Menschenrechtspreis der Stadt Florenz, 2012 den Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlamentes und 2018 den schwedischen Tucholsky-Preis für verfolgte oder bedrohte Schriftsteller, obwohl sie gar keine Schriftstellerin ist. Ebenfalls im Jahr 2018 erhielt sie den Ludovic-Trarieux-Menschenrechtspreis. Die Europalastigkeit der Preise ist kaum zu übersehen. Aber auch die Washington Post hat sich bereits für sie eingesetzt [3].

Am Tag ihrer Verurteilung hat der zuständige Richter den iranischen Nachrichtenagenturen erklärt, dass sie zu sieben Jahre Haft verurteilt worden ist. Die Information von 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben hat ihr Ehemann am gleichen Tag in Facebook gepostet. Obwohl sehr viele Personen bei der Urteilsverkündung zugegen waren, hat offensichtlich niemand – außer dem Ehemann – den Urteilsspruch verstanden, nicht einmal die betroffene Anwältin selbst, die ihre Anwaltsausbildung in der Islamischen Republik Iran absolviert hat. Wenn man zudem berücksichtigt, dass Facebook im Iran verboten und nur mit unerlaubten Tricks zugänglich ist, kann die Eingebung des Ehemannes nur als Hilferuf an die Westliche Welt verstanden werden, den Druck zu erhöhen, um die Ehefrau (und ihn selbst) freizupressen. Sehr ungewöhnlich erscheint der Einsatz des deutschen Außenministers Heiko Maas kurz nach ihrer Verurteilung, an dem eigentlich noch gar nichts klar war, indem er vorlaut gesagt hat: „Die Bundesregierung hat sich seit ihrer Verhaftung für Nasrin Sotudeh eingesetzt. Sie hat lediglich ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt. Diese drakonischen Strafen sind nicht nachvollziehbar. Wir werden uns auch in Zukunft für ihre Freilassung einsetzen“ [1]. Die Unterstützung für Frau Sotudeh ist fraktionsübergreifend. Die Linke hatte bei einer kleinen Anfrage im Dezember 2018 (also lange vor der aktuellen Verurteilung) bereits gefragt [4]: „Inwiefern hat sich die Bundesregierung für die inhaftierte Anwältin Nasrin Sotoudeh, ihres Ehemannes Reza Khandan sowie dem sich im Hungerstreik befindenden Farhad Meysami eingesetzt?“ Auch die Linke scheint Menschenrechte nur noch als Mittel für Imperialismus zu verstehen.

Auch die israelische Haarez verbreitet die 38-Jahre-Haft Version, gibt aber entgegen den deutschen Propagandablättern zu, dass der Hauptvorwurf gegen die Anwältin Spionage war [5]. Allein die Tatsache, dass die meisten deutschen Medien diesen Vorwurf unter den Tisch gekehrt haben und Heiko Maas gar nicht darauf eingeht, hinterlässt bereits einen faden Beigeschmack. Der englische Guardian sieht in dem Urteil eher eine Schwächung des amtierenden Regierung Ruhani gegenüber den sogenannten Hardlinern [6]. Um den Vorwurf der Spionage etwas mehr zu beleuchten, muss man in das Jahr 2014 zurückblicken. Damals gab Frau Sotudeh gemäß Irish Times zu, sich mit Mahvash Sabet angefreundet zu haben [7]. Mahvash Sabet stand damals vor Gericht wegen Spionage für Israel.

Der aktuelle Fall ist noch nicht rechtskräftig. Frau Sotoudeh hat Berufung eingelegt. Gerichtsinterna oder die Urteilsbegründung sind noch nicht veröffentlicht worden, so dass Außenstehende sich ein faires Urteil bilden könnten. Die außergewöhnlich heftige Reaktion der prozionistischen Presse in Deutschland inklusive Außenminister verdeutlichen für diejenigen, die zwischen den Zeilen lesen können, dass die iranische Justiz wohl gar nicht so falsch liegt. Private Recherchen haben ergeben, dass das Urteil – abgesehen von dem eigentlichen Inhalt bezogen auf die Angeklagte – gleichzeitig eine Warnung an die Europäer sein könnte, ihre Agenten und Spione abzuziehen, die im Auftrag der USA das blinde Auge der CIA im Iran zu ersetzen versuchen.

Eine andere Frage bleibt bei dem Ereignis offen. Wird man im Iran zu mehreren Jahren Gefängnis verurteil, wenn man den Revolutionsführer Imam Chamenei kritisiert oder öffentlich beleidigt? Bei dieser Frage wird sich wohl jeder Iranreisende sehr überrascht zeigen, denn Iraner sind bezüglich politischer Meinung viel offener als zum Beispiel Deutsche. Kaum ein iranischer Taxifahrer hält seine Meinung bezüglich dem System, dem Islam, Imam Chamenei und anderen Themen zurück. Dabei kann es sogar zu sehr heftigen Meinungsauseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Fahrgästen in einem gefüllten Taxis kommen, die man nicht privat gebucht hat und die daher auch andere auf der Strecke mitnehmen. Eine Gruppe deutscher Intellektueller, die meine Wenigkeit einstmals in den Iran führen durfte, hat die Erfahrung der Offenheit der Iraner selbst gemacht, wie es z.B. der jüdisch-stämmige Elias Davidson in seinem Interview bei Ken Jebsen beschreibt [8].

Ein etwas extremes Beispiel hat der neu ernannte Oberste Richter Ayatollah Sayyid Ibrahim Raisi [9] vor wenigen Monaten im privaten Kreis erzählt, als noch gar nicht absehbar war, dass er Oberster Richter des Landes werden würde. Einer seiner gutherzigen Bekannten und fähigen Manager des Landes war ein extremer Kritiker Imam Chameneis. Bei einer Diskussion hat jene Person Imam Chamenei derart heftig kritisiert und beleidigt, dass Ayatollah Raisi – der Imam Chamenei liebt – es nicht mehr ertragen konnte und jene Person gebeten hat, am Abend zu einer öffentlichen Veranstaltung mitzukommen, bei der Imam Chamenei über ein wichtiges Thema sprechen würde. Als Gast von Ayatollah Raisi würde er mit in den vorderen Reihen sitzen. Erst nach langer Überredungskunst hat sich der Kritiker einverstanden erklärt. Nach der Rede beugte sich der Kritiker zu Ayatollah Raisis und sagte zu ihm wortwörtlich: „Er ist eine Nichtigkeit“. Dann fing er an die Rede zu kritisieren und hörte nicht auf. Derweil sahen sie, wie in einer Entfernung von ca. 30 Metern Imam Chamenei dabei war, den Raum zu verlassen. Sie sahen, wie Imam Chamenei an der Tür stehen blieb, seine Kafiyyah (Palästinensertuch, stammt eigentlich aus Kufa) vom Hals nahm und einem Revolutionsgardisten in die Hand drückte und mit dem Finger in die Richtung von Ayatollah Raisi wies. Die beiden Diskutierenden schauten hinter sich, ob hinter ihnen jemand anderes stehen würde, auf den gewiesen worden ist. Aber der Revolutionsgardist kam schnurstracks auf sie zu und überreichte das Tuch dem Kritiker mit dem Hinweis, dass Imam Chamenei ihn dazu angewiesen hätte. Daraufhin brach der Kritiker mit dem Tuch in der Hand in sich zusammen und fing an unaufhörlich zu weinen. Der überraschte Ayatollah Raisi setzte sich zu ihm und versuchte ihn zu trösten. Er verstand die heftige Reaktion nicht. So sehr sich die Anhänger Imam Chameneis über solch ein Geschenk freuen würden, so unverständlich erschien diese scheinbar übertriebene Reaktion, noch dazu von diesem Kritiker. Doch der Kritiker erklärte Ayatollah Raisi, dass er vor dem Besuch zu Gott gebetet habe, dass falls Imam Chamenei doch besser sei, als er ihn sich vorstellt, dieser ihm seine Kafiyyah schenken solle. Da er nicht vor hatte in seine Nähe zu gehen, wäre es so gut wie unmöglich gewesen, dass das geschieht. Jetzt wüsste er, wie sehr er sich getäuscht habe. Er hörte an dem Abend nicht auf, Tränen zu vergießen.

Derartige Erzählungen gibt es zu Hunderten aus der Nähe Imam Chameneis von absolut zuverlässigen Berichterstattern! Der Autor dieser Zeilen hat keinen Zweifel daran, dass Imam Chamenei die Heiligkeit unserer Zeit ist. Aber das ist ein Wissen, das mit andere nicht teilbar ist. Teilbar mit andere ist aber das Wissen, dass im Iran niemand dafür belangt wird, wenn er Imam Chamenei kritisiert!

Doch diejenigen, die gerne auf andere mit dem Finger zeigen, sollten sich einmal folgende Frage stellen: Warum ist ein Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2006 (!) gegen meine Wenigkeit bis heute nicht abgeschlossen? Ich hatte damals in einer flammenden Fürsprache für das friedliche Miteinander in der Welt und auch in Deutschland in der Beschreibung des damaligen Ausgangszustandes folgenden Satz geschrieben: „Das Blut von Millionen von Menschen klebt an den Händen von Olmert, Bush und Blair. Und neuerdings versucht Merkel jene Hände zu reinigen und merkt nicht, wie ihre eigenen Hände dabei blutverschmierter werden. Das ist die Lage der Welt.“ Es kam zu einem Ermittlungsverfahren wegen „Verunglimpfung eines Staatsorgans“. Das Ermittlungsverfahren wurde bis heute (also 13 Jahre danach) nie abgeschlossen, bzw. ich wurde nie über einen möglichen Abschluss des Ermittlungsverfahrens informiert, da ich ja sonst meine damaligen Anwaltskosten dem Staat hätte aufdrücken können. Aber es ist in dieser Welt leichter mit dem Finger auf ein 5000 km entferntes Land zu zeigen, als den Dreck vor der eigenen Haustür zu kehren.

Frau Sotudeh wünsche ich, dass sie die Gelegenheit zu einer Erleuchtung bekommt, wie jener Kritiker bei Ayatollah Raisi, und danach alle ihre westlichen Propagandapreise zurückgibt. Dann kann sich Herr Maas noch mehr aufregen.

[1] https://www.bild.de/politik/ausland/poli...18762.bild.html
[2] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019...teil-haftstrafe
[3] https://web.archive.org/web/201603120936...2-26750613.html
[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/071/1907143.pdf
[5] https://www.haaretz.com/middle-east-news...ashes-1.7016484
[6] https://www.theguardian.com/world/2019/m...8-years-in-iran
[7] https://www.irishtimes.com/news/world/wr...sabet-1.2001593
[8] https://www.youtube.com/watch?v=2_FVDyTXKtw&feature=youtu.be (ab ca. Minute 34)
[9] http://www.eslam.de/begriffe/r/raisi_ibrahim.htm

 

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