IQNA

Alle Religionen unter einem Dach - Kann das gut gehen?

9:59 - March 19, 2019
Nachrichten-ID: 3000962
Was passiert, wenn man alle Religionen in einem Haus beten lässt? Diesen Versuch wagen Gläubige in Bern und Berlin. Konflikte sind da vorprogrammiert, gleichzeitig entsteht aber auch Verständnis - und manchmal ein kulinarischer Dialog.

Im schweizerischen Bern, auf dem Europaplatz, steht ein großes, verspiegeltes Gebäude. In dem nüchternen Bau sind Supermärkte, Büros und Wohnungen untergebracht. Mittendrin: das "Haus der Religionen". 2014 wurde es eröffnet. Als Ort der Begegnung von Religionsgemeinschaften, als Kulturzentrum und mit Sakralräumen für Buddhisten, Hindus, Moslems, Aleviten und Christen. Am Anfang stand eine Idee, 15 Jahre dauerten Planung und Bau.


Synagoge, Moschee und Kirche unter einem Dach

Gut tausend Kilometer nordöstlich in Berlin ist man noch nicht so weit. Hier soll ab 2020 auf dem Petriplatz das "House of One" entstehen. Vertreter der jüdischen, christlichen und muslimischen Gemeinden planen unter einem gemeinsamen Dach eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee. Eine Herausforderung für das damit beauftragte Architekturbüro:

"Es gibt bisher kein Gebäude, das die drei Gotteshäuser in einem Haus vereint. Es gibt zwar gemeinsame Beträume, wie man sie von Flughäfen oder Krankenhäusern kennt, aber hier ist das Konzept ein anderes. Es soll ja eine echte Synagoge, eine echte Kirche und eine echte Moschee entstehen - mit all den notwendigen Nebenräumen, die es zum Betrieb dieser Gotteshäuser braucht." Anna Naumann, Architekturbüro Kuehn-Malvezzi

Der Entwurf sorgte weltweit für Schlagzeilen: Ein Gebäude aus Ziegeln, das auf Religionssymbolik verzichtet. Ob Synagoge, Kirche oder Moschee ist von außen nur zu erahnen. Überragt werden die drei Gebetsräume von einem 40 Meter hohen Turm. Gedacht ist er für alle, auch für die, die keinen Glauben haben. Niemand soll ausgeschlossen sein, sagt Pfarrer Gregor Hohberg, Mitinitiator des "House of One". Außerdem sei in der Satzung schon festgehalten, dass auch andere Religionen und Glaubensgemeinschaften künftig hier unterkommen könnten, neben den bereits partizipierenden.


Hoffnung auf eine gute Streitkultur

Damit nicht der Eindruck entsteht, dass eigentlich drei separate Gebetshäuser lediglich nah beieinander stehen, hat das "House of One" nur einen Eingang.

"Das zwingt alle Leute erst mal, einen gemeinsamen Raum zu betreten. Damit sagen wir: Wir sind alle Menschen. Dann, drinnen, können wir uns in den verschiedenen Räume verteilen. Aber nicht, dass einer in die Synagoge geht und sagt: Ich will mit den Leuten in der Moschee nichts zu tun haben oder mit denen in der Kirche oder umgekehrt." Rabbiner Tovia Ben-Chorin

Am 14. April 2020 soll die Grundsteinlegung zum "House of One" erfolgen. Das Datum ist von großer Symbolkraft. Am 14. April 1783 wurde in Berlin Gotthold Ephraim Lessings Drama "Nathan der Weise" uraufgeführt. Seine berühmte Ringparabel, in der vor Gott alle Religionen gleich sind, kann Impulse für das zukünftige "House of One" geben, glaubt Roland Stolte, der Geschäftsführer der Stiftung "House of One". Er verbindet damit außerdem die Hoffnung auf eine gute Streitkultur. Denn oft seien Religionen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, dass ein unverkürzter Austausch kaum möglich sei.


Kleine und große Konflikte: "Das ist das Tolle an diesem Haus"

Im "Haus der Religionen" in Bern kennt man diese Streitkultur, von der Stolte spricht, nur zu gut.

"Wir kommen uns ständig ins Gehege. Das ist das Tolle an diesem Haus." David Leutwyler, Geschäftsführer des 'Hauses der Religionen'

Die Streitigkeiten beginnen, sagt David Leutwyler, Geschäftsführer des "Hauses der Religionen" und reformierter Christ, bei so kleinen Dingen wie dem Schuheausziehen. Die äthiopisch-orthodoxe Gemeinde betritt den Gebetsraum der Christen in Bern nur ohne Schuhe, weil sie sich auf die Geschichte des brennenden Dornbusches berufen, in der Mose geboten wird, die Schuhe auf heiligem Boden auszuziehen. Katholiken tun dies beispielsweise nicht.

Versöhnung in Bern nach blutigem Bürgerkrieg auf Sri Lanka

Religion sät oft Streit, kann aber auch Frieden schaffen. Ein gutes Beispiel ist die Zusammenarbeit der tamilischen Hindus und singhalesischen Buddhisten im "Haus der Religionen". Nach dem blutigen Bürgerkrieg auf Sri Lanka hatten die beiden Gemeinschaften verständlicherweise wenig füreinander übrig. In Bern näherten sie sich wieder an, erzählt der Hindu Sasi.

"Ich kann nicht einfach einem buddhistischen Mönch begegnen, das ist schwierig und schmerzlich. Aber im Lauf der Zeit hat er mich einmal gefragt: Kannst du dir nicht vorstellen, einen Tee mit mir zu trinken? Dann habe ich ein bisschen überlegt. Ja, einen Tee kann man schon trinken. Dann haben wir langsam angefangen, miteinander zu kommunizieren." Hindu Sasi

Mit einem Ergebnis, das ausstrahlt. Die beiden einstigen Gegner versuchen, die Verletzungen des fast dreißigjährigen Krieges zu überwinden. In ihrer Heimat, in Puttalam, haben sie ein Friedensprojekt initiiert, sagt Bhante Anuruddha, der im "Haus der Religionen" den Tempel des interkulturellen buddhistischen Vereins betreut. Ein weiteres soll demnächst folgen.


Interreligiöser Dialog in der Küche

Weil in den meisten Religionen das Essen einen zentralen Platz einnimmt, bietet das Berner "Haus der Religionen" täglich einen Mittagstisch an. "Vanakam" heißt das Restaurant und ist gut besucht. Der Hindu Sasi kocht ayurvedisch. Er hat festgestellt, dass sich der interreligiöse Dialog auch auf die Speisen übertragen lässt:

"Neulich kommt ein jüdischer Rabbiner zu mir. Zwei Monate lang fragte er mich immer, 'darf ich deinen Kühlschrank, deine Produkte kontrollieren?' Dann hat er gesagt, 'es riecht fein in deiner Küche, kannst du dir vorstellen, dass auch koscheres Essen hier funktionieren könnte?' Küche ist nicht nur für Hindus und Tamilen, sondern Küche ist Dialog. Das ist die erste koscher-ayurvedische Kombinationsküche weltweit, glaube ich."

 

https://www.br.de/nachrichten/kultur/viele-religionen-beten-unter-einem-dach-kann-das-gut-gehen,RKhUxOG

captcha