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Brief an meine Tochter: „Ich muss dich auf den Hass vorbereiten!“

15:59 - August 31, 2018
Nachrichten-ID: 3000068
Fatma Idris hat bei den Bildern aus Chemnitz Angst. Angst, um ihre Tochter. Denn als schwarze Muslimin musste sie schon öfter Rassismus ertragen und muss nun ihre Tochter auf ähnliche Erfahrungen vorbereiten.

Chemnitz. Ein Wort, eine Stadt, die ich mit Angst verbinde. Leider. Die bürgerkriegsähnliche Stimmung, das Versagen der Polizei und die rechten Parolen. Ich bin schwarz, trage ein Kopftuch und bin in den Augen dieser hasserfüllten Menschen die perfekte Projektionsfläche ihrer Wut. Sie wollen uns die Zugehörigkeit zu Deutschland absprechen und hassen es, dass wir hier sind, deutsch sprechen, arbeiten und einfach nur existieren. Vor allem als Mutter habe ich lange überlegt, wie ich die aktuelle Situation fassen soll. Es macht mir Sorgen, mein Kind in solchen Umständen aufwachsen zu sehen. Deshalb habe ich beschlossen, einen Brief an meine Tochter zu schreiben. Einen Brief an sie, der sie ermutigen soll, an sich zu glauben, ihre Mitmenschen zu tolerieren und zu respektieren.

 

Ich möchte ihr klar machen, dass ich auch Angst habe, dass ich sehe, was gerade in Chemnitz los ist, und dass rechte Parteien mehr Zuspruch bekommen. Aber als Mutter muss ich stark bleiben und meine Kinder auf den Hass vorbereiten.

Mein kleines Mädchen…

Jeden Tag denke ich darüber nach, wie eine gute Erziehung funktioniert. Jeden Tag erfüllt sich mein Herz mit Liebe, wenn ich dich sehe. Aber auch Ängste kommen immer wieder hoch. Ängste, die durch schlechte Erfahrungen entstanden sind. Ich möchte dir diese Zeilen schreiben, damit du nie vergisst, dass du nicht allein bist.

Heutzutage sehe ich, wie schlimm es geworden ist, wenn man etwas anders aussieht. Du wirst aufgrund deiner Religion, Hautfarbe und Herkunft diskriminiert.

In meinen Augen bist du das Schönste. Ich liebe deine wunderschöne dunkle Haut, deine großen schwarzen Augen, sowie deine lockigen krausen Haare. Aber es wird Menschen geben, die etwas gegen dein Aussehen haben werden. Dich hassen, weil du „anders“ aussiehst und das, obwohl sie dich gar nicht kennen. Sie werden auch ein Problem damit haben, falls du dich mal dazu entschließen solltest, ein Kopftuch zu tragen. Sie werden dir absprechen, dass du dich selbst dafür entschieden hast und es selbstbewusst wie eine Krone tragen möchtest.
Aber habe keine Angst, lerne draus und schöpfe neue Kraft.

Für sie bist du fremd

Ich schreibe dir das, weil auch ich diese Erfahrung gemacht habe. Unsere Wurzeln liegen in Eritrea, das schöne Land am roten Meer in Ostafrika.

Ich sah immer vermeintlich „anders“ aus. Kam mit knapp vier Jahren in den Kindergarten und wurde von den Kindern mit „N****“ beleidigt. Man versuchte mich zu isolieren und nicht mit mir zu spielen. Leider spürte ich diesen Haas und Rassismus auch in der Schule. Dort sprachen die Lehrer nicht von schwarzen Menschen, sondern sie sprachen über „N****“. Als ich mich dann an der Universität für das Tragen eines Kopftuchs entschieden hatte und mich um einen Nebenjob bewarb, sagte man mir; „wir wollen keine Frauen mit einem Kopftuch haben, legen sie es weg“.

Meine Liebe, auch wenn du hier geboren bist und nichts anderes als Deutschland kennst, für sie bist du fremd.

Bitte bleib immer so

Im Leben wirst du Menschen begegnen, die dich mit solchen Äußerungen verletzten werden. Aber habe keine Angst, sei stark! Verspüre kein Hass! Wisse, dass nicht alle so sind.

Ich habe jeden Tag Angst um dich, denn ich bin deine Mutter. Ich hätte auch Angst um dich, wenn es keinen Rassismus gäbe. Doch er ist real. Du wirst ihn erleben und es tut mir weh, dass ich dich vor solchen Erfahrungen nicht schützen kann. Doch merke dir eins: Du brauchst dich nicht zu schämen oder den Wunsch zu haben, anders zu sein als du bist. Denn du bist meine Superheldin, ich lerne so viel von dir. Du gehst auf die Menschen zu, egal wie sie aussehen und redest einfach mit ihnen mit deiner freundlichen und sympathischen Art. Dir ist es egal, ob jemand weiß oder schwarz ist, dir ist es egal, aus welchem Land jemand kommt. Du fragst höflich, ob du mitspielen darfst. Bitte bleib immer so.

„Schwarz, stolz, selbstbewusst und elegant“

Denn heute sehe ich sehr stark, wie Teile der Gesellschaft Hass verspüren und intoleranter werden. Sie gehen zu Tausenden auf die Straße und hetzen gegen Andere. Hetzen gegen Menschen, wie dich und mich.

Sei du besser als sie. Sei ein Vorbild. Verurteile Menschen nicht, habe keine Vorurteile. Reiche ihnen weiterhin deine Hand und lerne sie weiterhin kennen.

Sei wie der „Black Panther“: Schwarz, stolz, selbstbewusst und elegant. Sei stolz, dass du schwarz bist, sei stolz, dass du ein wunderschönes Mädchen bist, sei stolz, dass du du bist!

 

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Stichworte: iqna ، chemnitz ، mutter ، kopftuch ، tochter
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