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Wenn China und Russland auf Imam Chamenei hören

16:39 - April 09, 2021
Nachrichten-ID: 3004008
Die Besonderheit der Heiligkeit einer Zeit besteht nicht nur darin, dass seine Anerkennung für seine Anhänger das ewige Leben sichert. Selbst Andersgläubige und Atheisten können von ihm zumindest diesseitig profitieren, wenn sie seine Empfehlungen befolgen.

Ein Beitrag von Yavuz Özoguz

Seit mindestens 2007 fordert Imam Chamenei die Menschheit zur Widerstandswirtschaft auf [1]. Was die letzte und bald abgewählte iranische Regierung mit neidvollem Blick auf die Westliche Welt bis heute nicht hinreichend verstanden hat, haben nurmehr die beiden Großmächte Russland und China verstanden und verwenden ganz bewusst den von Imam Chamenei ins Leben gerufenen Begriff. Sie erweitern ihn sogar zu „Globale Widerstandswirtschaft“.

Ein frischer Artikel dazu ist erscheinen in den Veröffentlichungen der Strategic Culture Foundation, eine russische Denkfabrik, die hauptsächlich ein gleichnamiges Online-Magazin für aktuelle Angelegenheiten herausgibt. Autor des Artikels ist aber kein Russe oder Chinese, sondern Alastair Crooke, ein britischer Diplomat, Gründer und Direktor des Conflicts Forum, einer Organisation, die sich ausgerechnet für ein Engagement zwischen dem Islam und dem Westen einsetzt. Zuvor war er sowohl im britischen Geheimdienst (MI6) als auch in der Diplomatie der Europäischen Union eine ranghohe Persönlichkeit. [2]

Es lohnt einen Blick auf einige Passagen des Artikels mit dem Titel „China and Russia Launch a ‘Global Resistance Economy’(China und Russland starten eine „globale Widerstandswirtschaft“)“ [3] zu werfen:

„Sun Tzu's rät in seinem Werk “Die Kunst der Kriegsführung” (ca. 500 v. Chr.): „Uns gegen Niederlagen zu schützen, liegt in unseren eigenen Händen. Die Gelegenheit, den Feind zu besiegen, bietet der Feind selbst. Deshalb setzt der kluge Kämpfer seinen Willen durch und lässt nicht zu, dass ihm der Wille des Feindes aufgezwungen wird. “ Dies ist die Essenz der chinesischen Widerstandswirtschaft … Der Geltungsbereich des Iran-Pakts geht bei weitem über Handel und Investitionen hinaus, wie ein Kommentator in den chinesischen Staatsmedien deutlich machte: „Mit diesem Abkommen (dem Iran-Pakt) wird die derzeitige geopolitische Landschaft in der westasiatischen Region völlig verändert, nachdem sie so lange der US-Hegemonie unterworfen war“. Hier ist also die Essenz eines „klugen Kämpfers, der seinen Willen durchsetzen will“ - China, Russland oder der Iran müssen dafür nicht in den Krieg ziehen. Sie implementieren einfach „Es“. Sie können es ganz einfach tun. Sie brauchen dafür keine Revolution, weil sie kein begründetes Interesse daran haben, gegen Amerika zu kämpfen.

Was ist „es“? Es ist nicht nur ein Handels- und Investitionspakt mit Teheran. Es sind auch nicht einfach Verbündete, die sich gegenseitig helfen. Der „Widerstand“ liegt genau in der Art und Weise, wie sie versuchen, sich gegenseitig zu helfen. Es ist eine Art der wirtschaftlichen Entwicklung. Es repräsentiert die Vorstellung, dass jede gewinnbringende Ressource - Bank-, Land-, natürliche Ressourcen- und natürliche Infrastrukturmonopole - gemeinfrei sein sollten, um alle Grundbedürfnisse frei zu befriedigen. Die alternative Möglichkeit besteht einfach darin, diese „öffentlichen Güter“ (wie im Westen) zu privatisieren, wo sie zu finanzierten Höchstkosten bereitgestellt werden - einschließlich Zinssätzen, Dividenden, Verwaltungsgebühren und Unternehmensmanipulationen für finanzielle Gewinne.

„Es“ ist dann ein wirklich anderer wirtschaftlicher Ansatz. … Auf einer Ebene ist dieses „Es“ daher eine strategische Herausforderung für das westliche Ökosystem, … die schuldengetriebenen, hyperfinanzierten und dennoch stagnierenden Volkswirtschaften Europas und der EU, in denen die großen Oligarchen die strategische Ausrichtung und die wirtschaftlichen „Gewinner und Verlierer“ festlegen und in denen die 60% kämpfen, und 0,1 % gedeihen. … Sozialismus versus Kapitalismus? Nein, es ist lange her, dass die USA eine kapitalistische Wirtschaft waren. Es ist heute kaum noch eine Marktwirtschaft. Seit dem Verlassen des Goldstandards (1971) ist es immer mehr zu einer Rentier-Wirtschaft geworden. Dieser erzwungene Austritt der USA aus dem „Goldfenster“ ermöglichte es den USA über die sich daraus ergebende weltweite Nachfrage nach US-Schuldtiteln (Staatsanleihen), sich kostenlos zu finanzieren (aus dem gesamten wirtschaftlichen Überschuss der Welt). Der Washingtoner Konsens stellte außerdem sicher, dass die Zuflüsse von Dollars aus der ganzen Welt an die Wall Street niemals Kapitalkontrollen unterliegen und die Staaten auch nicht in der Lage sein würden, ihre eigene Währung zu schaffen, sondern Kredite in Dollar für Kredite aufnehmen müssten von der Weltbank und dem IWF. …

Der Punkt ist, dass - auf wirtschaftlicher Ebene - die hyperfinanzierte Sphäre der USA schnell schrumpft, da China, Russland und ein Großteil der „Weltinsel“ sich dem Handel mit ihren eigenen Währungen zuwenden (und keine US-Staatsanleihen kaufen). In einem „Krieg“ der Wirtschaftssysteme befindet Amerika sich daher auf dem Rückzug. … Es gibt in Washington (und zu einem gewissen Grad auch in Europa) eine Fraktion, die einen pathologischen emotionalen Wunsch nach Krieg mit Russland hat, der größtenteils aus der Überzeugung stammt, dass die Zaren (und später Stalin) antisemitisch waren. Ihre Emotionen sind Hass und Wut, aber sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, Russland und China zusammenzubringen. Dies und Amerikas Neigung, die Welt zu sanktionieren, haben China und Russland ihre Chance gegeben. … Diese wirtschaftliche Realpolitik ist jedoch nur die halbe Wahrheit für Chinas und Russlands Einführung einer „globalen Widerstandswirtschaft“. Es hat auch einen parallelen geopolitischen Rahmen.

Auf diesen letzteren Aspekt bezog sich der chinesische Beamte höchstwahrscheinlich, als er sagte, dass der Iran-Deal „die vorherrschende geopolitische Landschaft in der westasiatischen Region, die seit so langer Zeit der US-Hegemonie unterliegt, völlig auf den Kopf stellen würde“. Beachten Sie, dass er nicht gesagt hat, dass dies die Beziehungen des Iran zu den USA oder Europa verbessern würde - er sagte, die gesamte Region. Er implizierte auch, dass Chinas Initiativen Westasien von der amerikanischen Hegemonie befreien würden. …

In einem Interview letzte Woche skizzierte FM Wang Yi Pekings Herangehensweise an den westasiatischen Raum: „Der Nahe Osten war ein Hochland brillanter Zivilisationen in der Geschichte der Menschheit. Aufgrund langwieriger Konflikte und Turbulenzen in der jüngeren Geschichte geriet die Region jedoch in ein Unsicherheitsgebiet. Damit die Region aus dem Chaos hervorgehen und Stabilität genießen kann, muss sie sich aus den Schatten der geopolitischen Rivalität der Großmacht befreien und unabhängig Entwicklungspfade erforschen, die den regionalen Gegebenheiten entsprechen. …“

Im weiteren Text werden auch Aspekte der gegenseitigen Nichteinmischung und die Palästinafrage erörtert, bei dem die Westliche Welt ganz bewusst gescheitert ist. Anders als in westlichen Propagandaschriften, in denen es um vermeintliche Menschenrechte geht, wird der Begriff Gerechtigkeit hervorgehoben und dass Unilateralismus bekämpft werden müsse. China schlägt sogar vor, eine multilaterale Dialogkonferenz für regionale Sicherheit am Persischen Golf abzuhalten. Für derartige Entwicklungen fühlte sich in der Vergangenheit allein die Westliche Welt berechtigt, hat aber weltweit die Glaubwürdigkeit diesbezüglich verloren. Selbst bei einer Pandemie, in der es darum geht, dass die eigene Bevölkerung geschützt wird, kämpft die EU aus politischen Gründen gegen den wirksamen russischen Impfstoff Sputnik V, was einige europäische Länder bereits dazu veranlasst hat auszuscheren und auf eigene Faust Sputnik V zu bestellen.

Nachdem der chinesische Außenminister Wang sich mit Ali Larijani, dem Sonderberater Imam Chameneis, getroffen hat, formulierte er in einem einzigen Satz sehr weittragende Informationen: „Der Iran entscheidet unabhängig über seine Beziehungen zu anderen Ländern und ist nicht wie einige Länder, die ihre Position mit einem Telefonanruf ändern". Hier lobte China die Autonomie und Souveränität des Iran, welche die Lakaien der USA in der Region vermissen lassen. China und Russland zusammen auf der Linie der Widerstandswirtschaft gegen die USA (und damit die gesamte Westliche Welt) verfügen über das Potential, dem Verbrechen des imperialistischen Kapitalismus ein Ende zu versetzen. Dabei plant China nicht nur mit dem Iran, sondern versucht auch Pakistan und die Türkei einzubinden. Beide Länder geraten in letzter Zeit zunehmend in Konflikt mit dem westlichen Imperialismus, weshalb auch beide Länder mit Waffenkonflikten überzogen werden.

Für die EU ist der Eintritt Chinas in die Weltpolitik problematisch. Denn so sehr sie den Eindruck erwecken wollte, eine von den USA unabhängige eigenständige, kapitalistische Politik zu verfolgen, die angeblich mehr auf Ausgleich und „Mitte“ setzt, so sehr ist bei der Eskalation der Wirtschaftspolitik nur deutlich geworden, dass die EU nur ein verlängerter arm oder Schoßhund des US-Imperialismus ist. Alle entscheidenden Positionen in Politik, Wirtschaft und vor allem Medien sind besetzt durch die Atlantik-Brücke. Das kann vor allem deshalb zum Problem werden, weil die einzigen Wachstumschancen der Europäer, und damit auch Deutschlands, vor allem in Asien liegen. Volkswagen verkauft heute bereits mehr Fahrzeuge in China als in vielen westlichen Ländern zusammen. Daimler & Volkswagen präsentierten im Corona-Jahr 2020 überraschend starke Geschäftszahlen allein aufgrund der Verkäufe in China [4]. Noch lässt China das zu. Aber wenn die Europäer weiterhin uneingeschränkt alle Verbrechen der USA mittragen werden, könnte China auf die Idee kommen, eines Tages bessere Fahrzeuge günstiger herzustellen. Im Luftfahrtbereich sind sie gerade dabei.

Während China auf Basis der Widerstandswirtschaft immer mehr Einfluss in Asien und Afrika aufbaut, was auch aufgrund des Respektes erfolgt, den China gegenüber anderen Kulturen aufbringt, versuchen die Europäer die durch die Westliche Welt finanzierten Autonomiebestrebungen einiger Uiguren auszuschlachten. Das scheint vor allem deshalb so kurios, da die Europäer in ihren eigenen Ländern zunehmend jede Kopftuchträgerin bekämpfen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen. Die Stärke Chinas – zusammen mit Russland und Iran – liegt in der eigenen Produktion und in der Abkopplung von dem zunehmend irrealer werdenden westlichen Wirtschafts- und Finanzsystem. Zweifelsohne haben das auch einige westliche Experten verstanden. Sie haben aber kein Mittel, um die eigene brutale Hegemonialpolitik zu reformieren. Zu sehr hängen sie an der Irrationalität Geld drucken zu dürfen nach Belieben und der Welt die eigenen Wertemaßstäbe aufzwingen zu können, was immer seltener funktioniert. Die diesjährigen Wahlen im Iran werden die Widerstandswirtschaft stärken, selbst wenn die USA und EU in letzter Minute versuchen sollten durch Aufhebung einiger Sanktionen die Wahlen im Iran zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Es wird ihnen – so Gott will – nicht gelingen.

Fazit: Ein fälschlicherweise Victor Hugo zugeschriebenes Zitat besagt: „Keine Armee der Welt kann sich der Macht einer Idee widersetzen, deren Zeit gekommen ist.“ Die Heiligkeit unserer Zeit Imam Chamenei sieht die Widerstandswirtschaft nicht als Selbstzweck, sondern als Vorbereitung der Rückkehr des erwarteten Erlösers. Wenn seine Zeit reif ist – möge er bald erscheinen – dann kann ihn keine Macht der Welt aufhalten. Daran mögen vor allem die Chinesen weniger glauben, aber den irdischen Nutzen der Befolgung der Heiligkeit ihrer Zeit werden sie dennoch genießen.

[1] http://www.eslam.de/begriffe/w/widerstandswirtschaft.htm
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Alastair_Crooke
[3] https://www.strategic-culture.org/news/2...stance-economy/
[4] https://www.businessinsider.de/wirtschaf...rund-ist-china/

 

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