IQNA

Irans Raketen, ein Professor und seine schwerwiegende Lüge

10:34 - March 26, 2020
Nachrichten-ID: 3002395
Teheran (IQNA)- Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gibt es die Möglichkeit, eine Programmbeschwerde beim jeweiligen Rundfunkrat einzulegen. Das habe ich gegen eine Sendung des ZDFs getan.

Ein Beitrag von Mahmoud Ayad

Vor einiger Zeit schrieb ich einen Artikel, in dem ich die Meinung vertrat, dass nicht jede Lüge wie die andere wiegt. Das Gewicht einer Lüge, das auf einer Seele lastet, hängt besonders auch davon ab, wie glaubwürdig eine Person ist. Die ursprüngliche Motivation, den damaligen Artikel zu schreiben, war es, den Verlauf einer Beschwerde, die ich beim Rundfunkrat des ZDF über eine Sendung des Zweiten eingelegt hatte, zu dokumentieren.

Anlass der Beschwerde war eine Terra X Sendung des bekannten Wissenschaftlers Harald Lesch. Der Inhalt der Sendung, die darauf folgende Beschwerde sowie die Reaktion des Intendanten des ZDF haben in jüngster Zeit wieder an Aktualität gewonnen und sie zeigen, dass auch in unserer Zeit eine vertrauenswürdige Person besonders viel Unheil anrichten kann.

Harald Lesch, vor allem bekannt als Moderator verschiedener Naturwissenschaftssendungen, ist Astrophysiker, Naturphilosoph, Wissenschaftsjournalist und Hörbuchsprecher. Außerdem ist er, das dürfte weniger geläufig sein, ein gläubiger protestantischer Christ. Als Muslim freue ich mich, wenn sich bekannte Personen mit Vorbildcharakter in einer zunehmend atheistischen Gesellschaft zu Gott bekennen, auch dann, wenn es sich um Christen und nicht Muslime handelt.

Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Lesch ein von fast allen, die ihn und seine Sendungen kennen, geschätzter und gern gesehener Fernsehmoderator ist. Auf eine sehr individuelle und sympathische Weise erklärt er komplizierte naturwissenschaftliche Zusammenhänge so, dass es auch der Laie versteht. Dabei gilt er aufgrund seiner Professur für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Philosophie (ebenfalls in München) als besonders professionell und seriös.

Warum habe ich ausgerechnet gegen diesen Mann eine Beschwerde beim Rundfunkrat des ZDF eingelegt? Anlass war eine Sendung mit dem Titel „Baut der Iran jetzt die Atombombe?“ Auch wenn es in der deutschen Presselandschaft selten vorkommt, so wäre ich bei Harald Lesch nicht überrascht gewesen, hätte er eine nüchterne und differenzierte Antwort auf diese Frage gegeben. Leider war dem nicht so. Was Professor Lesch genau Falsches erzählt hat, könnt Ihr in der Rundfunkratsbeschwerde nachlesen, die im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben wird. [1]

 

Datum: 11.09.2019

Verstöße der Sendung gegen:
§19 (1) sowie §54 (2) Rundfunkstaatsvertrag (betreffen die den Umständen gebotene Sorgfalt der Prüfung auf Wahrheit)
§3 (1) ZDF-Satzung (betreffen den objektiven Blick auf das Weltgeschehen)

Begründung der Beschwerde:
In der Informationssendung stellt der Moderator der Sendung (Harald Lesch) die Behauptung auf, der Iran hätte schon in der Zeit von US-Präsident Obama das Atomabkommen gebrochen, da der Iran im Jahre 2016 Raketen getestet hätte, und das wäre nach dem Atomabkommen verboten gewesen. (Ab Minute 1:58 im Video.) Obama hätte das noch hingenommen, aber Trump wäre deswegen aus dem Abkommen ausgestiegen.

Das ist falsch, denn das Atomabkommen (JCPOA) berührt in Wahrheit keinerlei Raketentests jedweder Art (vgl. Vertragstext [2]). Die Behauptung wurde aus meiner Sicht nicht nach der den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft geprüft. Die Umstände sind aus meiner Sicht angesichts eines drohenden Angriffskriegs der US-Regierung gegen Iran besonders brisant, da sie die Schuld für das Scheitern dieses friedensfördernden Abkommens fälschlicherweise Iran zuschiebt. Es ist allgemein bekannt, dass der Bruch des Abkommens durch die einseitige Aufkündigung seitens des US-Präsidenten Donald Trump erfolgte.

Harald Lesch, den ich selbst sonst persönlich schätze, genießt als Wissenschaftler besonderes Vertrauen bei den Adressaten seiner Sendung. Entsprechend finde ich diese falsche Darstellung desto schwerwiegender. Die Falschinformation, dass der Iran den völkerrechtlich bindenden Vertrag gebrochen habe, ist beim sachunkundigen Zuschauer durch seine Nennung am Anfang der Sendung geankert und kontextualisiert, damit die ganze Thematik der Sendung im Lichte dieser falschen Prämisse steht.

Entsprechend beantrage ich eine Behandlung dieser Beschwerde gem. §21 (2) der ZDF-Satzung durch den Fernsehrat und möchte ebenso unter Berufung auf §9 des ZDF-Staatsvertrags eine Gegendarstellung in der Sendung beantragen.

Viele Grüße

Mahmoud Ayad

 

Entsprechend der Beschwerdeordnung (§ 21 Abs. 2 der ZDF-Satzung) hat zunächst der Intendant des ZDFs Gelegenheit, die Programmbeschwerde zu prüfen und innerhalb eines Monats zu beantworten. Die Antwort des Intendanten Thomas Bellut verschlug mir erst einmal die Sprache und versetzte dem Ansehen des ZDF bei mir anschließend einen herben Schlag.[3]

Der Knackpunkt der Antwort des Intendanten:

„Der JCPOA – der „Joint Comprehensive Plan of Action“ – enthälte in der Tat keine Aussagen zu Restriktionen im Blick auf die Entwicklung und den Test von Raketen. In dem von Ihnen bezeichneten YouTube-Video wurde sich jedoch nicht auf diesen „Atomabkommen (JCPOA)“ bezogen. Durch eine Resolution (2231) vom 20. Juli 2015 des UN Sicherheitsrats wurden nächste Schritte eingeleitet und konkrete Beschlüsse in Kraft gesetzt. In dieser Resolution ist unter Anlage B.3 das Verbot der Entwicklung ballistischer Flugkörper enthalten. Auf eben diese Erlasse bezieht sich die Aussage im betreffenden Video.“

Die Antwort ist doppelt falsch. Zum einen nimmt Lesch absolut Bezug auf das Atomabkommen (JCPOA), wie im oben verlinkten Video ab 1:58 zu hören ist und nicht auf eine UN Sicherheitsratsresolution:

Harald Lesch:

„Und dann, März 2016, ein neues Problem. Der Iran testet Raketen. Das war laut Abkommen (Formatierung durch Autor) aber verboten.“

Zum anderen handelt es sich bei der UN Sicherheitsratsresolution um einen nicht verbindlichen Aufruf und mitnichten um einen konkreten Verbotsbeschluss. Würde es wirklich einen Verstoß gegen eine verbindliche Resolution geben, dann könnten wir gewiss davon ausgehen, dass die USA und auch die Europäer, von denen auch Imam Chamenei bereits sagte, dass ihnen nicht zu trauen sei, mit weitaus härteren diplomatischen Mitteln die Islamische Republik angegriffen hätten.

Im besten Fall können wir davon ausgehen, dass Lesch von beratenden Personen in die Irre geführt wurde. Im schlechtesten Fall ist zu befürchten, dass er einfach bewusst gelogen hat, was ich eher nicht vermute. Aber leider macht dies die negative Wirkung der Falschaussage nicht wieder gut. Heute, kein halbes Jahr nach der Terra X-Sendung, die Historiker womöglich irgendwann als Musterbeispiel für überzeugende effektive Kriegspropaganda in unserer Zeit heranziehen, sehen wir, wie relevant für die Bewertung von Krieg und Frieden solche Stimmen sind.

Erst neulich, am 8. Januar 2020 hat sich die Islamische Republik Iran
bezeichnenderweise mit ihren, nebenbei bemerkt erstaunlich präzisen, ballistischen Raketen gegen die militärischen Morde der USA gewehrt und griff als erstes Land seit dem Zweiten Weltkrieg eine US-Basis vom eigenen Territorium aus an. Diese ballistischen Raketen sind geradezu das effektivste und abschreckendste militärische Mittel, das die Islamische Republik gegen die nunmehr jahrhundertelangen Aggressionen des über enorme militärische Mittel verfügenden Westens im Arsenal hat. Es wundert entsprechend nicht, dass die Aggressoren, angeführt von den USA, seit Jahrzehnten versuchen, ein international anerkanntes Verbot eben dieser Sicherheitsgaranten Irans zu bewirken. Neben den USA legen da aber international nur Israel und einige weltweit als US-Vasallen wahrgenommene Länder Wert drauf – ach ja und auch das ZDF und sein Astrophysiker Prof. Harald Lesch.

Als Freund der Dichtkunst möchte ich ein Gedicht von Wilhelm Busch anhängen, das in etwa so alt ist, wie die Aggressionen des Westens gegen Iran:

Bewaffneter Friede

Ganz unverhofft auf einem Hügel
sind sich begegnet Fuchs und Igel.
Halt! rief der Fuchs, du Bösewicht!
Kennst du des Königs Order nicht!
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, daß jeder sündigt,
der immer noch gerüstet geht!
Im Namen seiner Majestät,
komm her und übergib dein Fell!
Der Igel sprach: Nur nicht so schnell!
Laß dir erst deine Zähne brechen,
dann wollen wir uns weitersprechen.
Und also bald macht er sich rund,
zeigt seinen dichten Stachelbundund,
trotzt getrost der ganzen Welt,
bewaffnet, doch als Friedensheld.

Für die Lesefaulen: Detaillierter auf die Thematik war Huseyin Özoguz bereits bei einer Ansprache im Monat Muharram eingegangen, hier ist der Link zum Video. ↩︎

https://www.europarl.europa.eu/cmsdata/122460/full-text-of-the-iran-nuclear-deal.pdf ↩︎

Von einer weiteren Behandlung der Beschwerde (dem Einbringen beim Rundfunkrat) habe ich übrigens aus verschiedenen Gründen abgesehen. ↩︎

 

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