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Das Mysterium Jesus im Islam

0:39 - December 27, 2021
Nachrichten-ID: 3005253
Jesus, der Sohn Marias, ist für Christen wie Muslime eine der heiligsten Personen. Auch wenn es über seine Person unterschiedliche Auffassungen gibt, so glauben doch beide an sein Wiedererscheinen. Doch können wir bzw. wie können wir diese Bewegung unterstützen, um ein Teil von ihr zu werden?

Die Lehre der menschlichen Vervollkommnung am Ende der Zeit

„Denn die Erde wird voll werden von der Erkenntnis der Ehre des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt“ [Habakuk 2,14]

Dass Jesus im Islam und im Heiligen Quran eine herausragende Stellung einnimmt, ist vielen Nichtmuslimen und insbesondere Christen unbekannt. Er wird im Quran knapp 108-mal genannt und hierbei als der Geist Gottes (ruh-ullah), das Wort Gottes (kalimat-ullah), Gesandter Gottes (rasul-ullah), Diener Gottes (abd-ullah), Sohn Marias (ibn maryam) und Messiah (masih) bezeichnet.

Bei genauer Betrachtung bleiben die kirchlichen Lehren über seinen Tod, seine Gottessohnschaft und die damit verbundene Trinitätslehre (Einheit von Gott, Sohn und Heiliger Geist), durch die Jesus zu Gott gemacht wurde und sogar an Stelle Gottes angebetet werden darf, für Muslime abzulehnen. Die Ablehnung der Muslime bezüglich der Lehre, dass Jesus für unsere Sünden am Kreuz gestorben sei, ist ebenfalls Gegenstand vieler Kontroversen und unangemessener Vorwürfe. In diesem Artikel wollen wir uns diesen Punkten genauer zuwenden:


Die Gottessohnschaft und Dreifaltigkeit Gottes

Einer der berühmtesten Bibelstellen, die für die Fehlinterpretation, Jesu sei Sohn Gottes, herangezogen wird, ist Johannes 14,6. Der Vers wird darüber hinaus von vielen Christen auch noch dahingehend interpretiert, dass Muslime sich irren oder gar in Wirklichkeit den Teufel anbeten, weil nach ihrem Verständnis keine direkte Anbetung Gottes möglich ist, es sei denn, diese Anbetung findet über Jesus (a.) statt.

„Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ [Johannes 14,6]

Wenn wir aber den biblischen Urtext in der griechischen Sprache betrachten, fällt auf, dass dort der Satz im Genitiv steht und dies hat eine zentrale Bedeutung. Jesus sagt damit, dass niemand zum Vater käme, als durch seine Art und Weise, nämlich ganz und gar in Gott lieben, leben und wirken. Deutlicher wird der Interpretationsansatz, wenn wir dazu folgende Bibelstelle betrachten:

„Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: HERR, HERR! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ [Matthäus 7,20–21]

Hier wird ausgedrückt, dass Jesus von den Menschen etwas anderes verlangt, als ihn anzubeten, nämlich ihm zu folgen in dem, was er den Menschen vorgelebt hat und entsprechend zu handeln. Sie sollen somit dem Willen Gottes folgen. Er sagt hiermit auch, dass es falsch ist, zu denken, man erlöst sei, nur weil man seinen Namen ausruft.

Weiter heißt es in Johannes 14,10: „Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke.“ So wird noch einmal deutlich, was Jesus sagen möchte, nämlich ganz und gar in Gott aufzugehen und damit von seinem Geist durchströmt zu werden und schließlich seine Werke zu tun. Auf diese Art und Weise finden wir nicht nur persönliche Erlösung, sondern tun das Beste auf Erden. Das bedeutet auch, das Beste für die Gemeinschaft, die Welt, das Leben an sich zu tun, um der Erlösung der Menschheit ein Stück näherzukommen, so Gott will.

Was wollen wir Muslime? Wir wollen dem Willen Gottes entsprechend handeln und nicht nur passiv glauben. Selbst Dämonen glauben an die Existenz Gottes, das ist also nicht unsere einzige Aufgabe. Wir sollen vielmehr handeln und aktiv sein. Wir wollen uns unter anderem so vervollkommnen, dass wir die größtmögliche Nähe zu Gott erreichen, damit er in uns und durch uns wirkt. Dieser Weg, und das muss hier klar gesagt werden, ist ein Weg der Liebe. Wenn wir uns als Menschen Gott annähern, dann nähern wir uns durch unsere Liebe seiner Liebe an, denn nur über die Liebe haben wir eine direkte Verbindung zwischen Geschöpf und Schöpfer: „So auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot für sich selbst.“ [Jakobus 2,17]

Aber was hat die Kirche aus der Botschaft Jesus’ gemacht? Ihr zufolge reiche es aus, an Jesus als dreieinigen Gott zu glauben, seinen Kreuztod als universelle Sündenerlösung anzuerkennen und somit schließlich passiv darauf zu beharren, man sei mit seinem Kreuztod erlöst. Damit ist auch der Heilsweg für viele christliche Kirchen (Denomination) abgeschlossen und auch Jesus als Wirklichkeit, als Prophet, der am Ende der Tage zurückkehrt, ist für sie nicht mehr von zentraler Bedeutung. Schließlich sind auch die Konzepte von der prophetischen Lehre und der Vervollkommnung der Welt durch verschiedene freikirchliche Strömungen stark verändert geworden.[1]

Was hätte Jesus zu solchen verfälschten kirchlichen Lehren gesagt? Genau diese Frage sollte jedem Christen ins Gewissen reden und seinen Standpunkt, die ihm die Kirchenlehre vermittelt hat, überdenken lassen. Jeder Mensch kann durch einfache Nutzung seines Verstandes und dem Folgen der Logik erkennen, dass diese Lehre, Jesus sei Gott selbst, falsch ist: Hat etwa Jesus sich selbst angebetet? Darüber hinaus hat er sich selbst als Menschensohn und nicht als Gottes Sohn bezeichnet und betont, dass sein Geist, der aus Gott ist, schließlich bei uns sei, wenn wir dem Weg, den Jesus uns vorgelebt hat, folgen: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ [Johannes 8,12]

Die Menschen sind nach dem Quran Gottes Schöpfung, wir sind in dieser Hinsicht alle Kinder Gottes. Gott hat uns von seinem Geist gegeben, wodurch wir alle auch Träger des Geistes Gottes sind. Dadurch können wir uns laut den Lehren des Islams auf unseren eigenen, individuellen Heilsweg vervollkommnen und somit die wahre Gottesdienerschaft erreichen, wenn wir unsere Triebseele und damit unseren Egoismus überwinden. Dabei dürfen wir die Liebe nicht vergessen und liebend den Blick auf das Wohl der eigenen Familie und die gesamte Menschheit richten. Wir veredeln uns also letztendlich mit Gottes Hilfe und Liebe selbst.

„Wenn wir das ohne Liebe tun, dann haben wir gar nichts getan“ [1. Korinther 13].

Theoretisch können alle Menschen wie Jesus (a.) sein, wenn wir den sogenannten Christus, als einen von und in Gott vervollkommneten Menschen verstehen, der sich mit der Liebe Gottes verschmolzen hat und somit Gott durch ihn handelt. Der Mensch, der diesen Zustand in höchster Vollendung erreicht, wird im Islam als Statthalter Gottes bezeichnet. Genau das ist der veredelte Zustand des Menschen, den zu erreichen Jesus uns aufzeigen wollte, von dem das Christentum aber völlig abgeirrt ist. Sie sind von diesem Ideal sogar so weit abgewichen, dass heute angeblich allein der Glaube an Jesus als Gottes Sohn, als Gott selbst und der Glaube an seinen Sühnetod für jeden ausreichen, um erlöst zu werden. Die wahre Botschaft Jesu ist Jahrhunderte an den Menschen vorbeigegangen, obwohl sie eine wahre Lehre zur menschlichen Vervollkommnung in sich getragen hat und diese auch in den Evangelien, trotz aller Verfälschungen und fehlerhaften Übersetzungen, noch zu finden ist.


Gottessohnschaft

„Christus Jesus, der Sohn Marias, ist doch nur der Gesandte Gottes und sein Wort, das Er zu Maria hinüberbrachte, und ein Geist von Ihm. So glaubt an Gott und seine Gesandten. Und sagt nicht: Drei. Hört auf, das ist besser für euch. Gott ist doch ein einziger Gott. Preis sei Ihm, und erhaben ist Er darüber, dass Er ein Kind habe.“ [Heiliger Quran, Sure 4:171]

Im Heiligen Quran wird die Gottessohnschaft Jesus und die Trinität explizit abgelehnt, weil der Islam die Menschen nicht zur Sünde der Götzenanbetung verleiten will. Niemand ist Gott gleichzusetzen: „Er hat nicht gezeugt, und Er ist nicht gezeugt worden“ [Heiliger Quran, 112:3]. Gott andere Götter beizugesellen ist im Islam eine schwere Sünde. Der Islam ist hier ganz klar und unmissverständlich rein monotheistisch. Es gibt keinerlei Interpretationsmöglichkeiten, die andere Annahmen zulassen würden. In den polytheistischen Religionen war und ist es gängige Praxis, dass die Götter in Familienverhältnissen verbunden sind und Götter Söhne haben. Diese Söhne der Götter haben im Pantheon oft besondere Aufgaben und häufig eine besondere Heilsgeschichte; ja es gibt ganz klare Parallelen, denn auch diese Söhne werden in den heidnischen Mythen häufig geopfert und kehren zurück. Selbst den Trinitätsglauben (Einheit von Vater, Sohn und heiligen Geist) finden wir bei den polytheistischen Religionen wieder. Ist hier vielleicht etwas aus den heidnischen Mysterienkulten ins Christentum geflossen, weil die Menschen in Europa noch nicht reif für den reinen Monotheismus waren? Die christliche Trinitätslehre wurde beispielsweise erst über 300 Jahre (Erster Konzil von Nicäa 325 n. Chr. und Synode von Toledo 675 n. Chr.) nach Jesus’ Abberufung entwickelt. Auch die Vorstellung, dass Gott einen leiblichen Sohn habe, ging nicht aus dem Urchristentum hervor, sondern wurde nachträglich zum kirchlichen Dogma, während gleichzeitig alle anderen Interpretationsansätze vernichtet wurden. Oft wurden ihre Anhänger durch die Inquisition getötet. Im Urchristentum stand nicht einmal der Kreuztod im Mittelpunkt der Lehre und somit auch nicht Jesus’ Sühnetod für die Menschheit, die damit von der vermeintlichen Erbsünde erlöst wurde. All die heutigen Lehren sind von der Kirche in Anlehnung an heidnische und jüdische Mysterienkulte im Nachhinein geschaffen worden, womit die prophetische Lehre Jesus’ völlig in den Hintergrund gedrängt wurde und bis heute nicht richtig verstanden wird.


Trinitätslehre

Der Quran macht uns darauf aufmerksam, dass es besser für uns ist, nicht Drei zu sagen, womit die Trinitätslehre deutlich abgelehnt wird. Die Sprache ist hier klar und ohne Missverständnisse und dennoch ohne Feindschaft: „O ihr Leute des Buches, übertreibt nicht in eurer Religion und sagt über Gott nur die Wahrheit. Christus Jesus, der Sohn Marias, ist doch nur der Gesandte Gottes und sein Wort, das Er zu Maria hinüberbrachte, und ein Geist von Ihm. So glaubt an Gott und seine Gesandten. Und sagt nicht: Drei. Hört auf, das ist besser für euch. Gott ist doch ein einziger Gott. Preis sei Ihm, und erhaben ist Er darüber, dass Er ein Kind habe. Er hat, was in den Himmeln und was auf der Erde ist. Und Gott genügt als Sachwalter.“ [Heiliger Quran, 4:171]

Der Glaube an Jesus wird aber als solcher nicht abgelehnt, denn der Quran sagt uns, dass man generell an alle Propheten glauben soll: „Diejenigen, die Gott und seine Gesandten verleugnen und zwischen Gott und seinen Gesandten unterscheiden wollen und sagen: 'Wir glauben an die einen, verleugnen aber die anderen', und einen Weg dazwischen einschlagen wollen, das sind die wahren Ungläubigen.“ [Heiliger Quran, 4:150–151]. Hier müssen wir uns fragen, was es heißt an einen Gesandten zu glauben. Es heißt, daran zu glauben, dass sie sich vollkommen Gottes Willen ergeben haben, sodass Gottes Willen zu ihrem Willen wurde und so handelte Gott durch seine Stellvertreter. Nur an die Gesandten zu glauben, ohne an Gott zu glauben ist also nicht möglich.

Wir dürfen diese spirituelle Nähe der Vorstellungen zwischen Christentum und Islam nicht mit der Anbetung Jesus als Gott und der Lehre, dass es die christliche Trinität Gottes gebe als Vater, Sohn und Heiliger Geist, verwechseln. Der Unterschied zwischen Gottes Gesandtem und Gott selbst ist, dass Gott Schöpfer und der Gesandte Geschöpf ist, was aber auf keinen Fall bedeutet, dass sie mit Gott gleichgestellt sind oder sie gar familiär mit ihm verbunden sind, wie die Kirche es lehrt (Jesus als Sohn Gottes, Maria als Mutter Gottes usw.). Der fundamentale Unterschied ist eben, dass die Propheten nicht leiblich mit Gott verwandt sind, aber ihr Geist Ihm kommt. Als Geschöpf bleibt somit der Prophet Mensch. Diese Propheten wurden nur so sehr von Gott erhoben und befähigt, dass sie, wie Jesus selbst von sich sagt, mit Gottes Willen verschmolzen sind. Genau das ist die Fähigkeit des Menschen, die aber unmittelbar von Gott kommt, wenn sie von Ihm berufen werden. Dieser Heilige Geist, der in Jesus wirkt, wird im Quran mehrfach genannt und damit anerkannt. Aber dieser Heilige Geist scheint stärker im Bewusstsein zu wirken, als der Geist, der allen Menschen von Natur aus von Gott gegeben ist. Jesus lebte und wirkte durch diesen auf Erden, wie viele andere Propheten auch, vollkommen in und aus Gott.

So sagt Jesus beispielsweise an in der Bibel: „Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke.“ [Johannes 14,10] Dazu ist Jesus laut Quran auch das Wort Gottes und auch jungfräulich geboren, was dem christlichen Logos entspricht. Damit nimmt er eine einzigartige Stellung unter den Propheten ein: „Und Wir ließen Jesus, dem Sohn Marias, die deutlichen Zeichen zukommen und stärkten ihn mit dem Geist der Heiligkeit.“ [Heiliger Quran, 2:87]. Zu diesen Beweisen gehören auch die Wunder, die Jesus bewirkt hat, von denen im Quran berichtet wird.


Kreuzigung und der Tod Jesu

Jesus ist laut dem Quran nicht am Kreuz gestorben. Und genau dieser Umstand ist derjenige, mit dem der Islam oberflächlich betrachtet, am deutlichsten im Konflikt mit den christlichen Dogmen steht. Es ist anzunehmen, dass es eine zentrale Bedeutung hat, wenn im Quran in Bezug auf Jesus sein Tod nicht erwähnt wird, sondern uns verkündet wird, dass er von Gott abberufen und erhoben wurde. Jesus ist laut Quran nicht gestorben; weder am Kreuz noch auf andere Art und Weise: „Als Gott sprach: ‚O Jesus, Ich werde dich abberufen und zu Mir erheben‘“ [Heiliger Quran, 3:55].

Im Heiligen Quran steht außerdem, dass es den Leuten nur so vorkam, als ob er gekreuzigt wurde, tatsächlich habe Gott ihn aber zu sich erhoben. Genau dieser Umstand wurde auf vielerlei Art interpretiert. Von einem Doppelgänger, der an seiner Stelle gekreuzigt wurde, über eine List oder Verschwörung der Juden bis dahin, dass man eben den Menschen Jesus in seiner Position als Wort Gottes und somit Träger des Heiligen Geistes nicht töten kann und deshalb nur seine menschliche Hülle gekreuzigt wurde. Tatsächlich treffen wir hier auf einen bis dahin einzigartigen Vorgang, den wir als Menschen schwer erfassen können, weil uns jegliche Erfahrung diesbezüglich fehlt. Nicht umsonst spricht hier der Quran darüber, dass wir Menschen hier Vermutungen folgen. Einzig und allein, dass Gott ihn zu sich in den Himmel erhoben hat, ist klar: „Und weil sie sagten: ‚Wir haben Christus Jesus, den Sohn Marias, den Gesandten Gottes, getötet.‘ – Sie haben ihn aber nicht getötet, und sie haben ihn nicht gekreuzigt, sondern es erschien ihnen eine ihm ähnliche Gestalt. Diejenigen, die über ihn uneins sind, sind im Zweifel über ihn. Sie haben kein Wissen über ihn, außer dass sie Vermutungen folgen. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet, sondern Gott hat ihn zu sich erhoben. Gott ist mächtig und weise.“ [Heiliger Quran, 4:157–158].

Im arabischen Text steht in dem Vers nicht, dass eine andere Person anstelle Jesus gekreuzigt wurde, sondern im Arabischen steht: وَلَٰكِن شُبِّهَ لَهُمْ. Diese ist als Täuschung, eine Art Fata Morgana übersetzbar. Es gibt islamische Gelehrte, die allein dieser Bezeichnung 100 Seiten der Erläuterung gewidmet haben. Dies allein zeigt uns, dass Gott uns mit dieser Aussage mehr sagen will, als dass er durch einen Doppelgänger ersetzt wurde.

Eine alternative Interpretation könnte daher wie folgt lauten: Wenn Jesus der Geist aus Gott und Wort Gottes in einer Person ist, so wird erst einmal klar, dass man diesen Geist und das Wort Gottes nicht töten kann. Niemand anderes hat den Menschen vorgemacht, er sei am Kreuz gestorben, als Gott und er lässt auch zu, dass dieser Umstand zu vielen unterschiedlichen Interpretationen führt, bis wir die wahre Botschaft am Ende der Zeit verstehen. Wir bleiben somit bis heute ein Teil des Mysteriums, weil wir dieses verstehen wollen, aber noch nicht vollständig verstehen können und auf diese Weise bleibt es in uns unvergessen. Und genau das ist es, was wir in der Historie ablesen können. Kaum andere Verse des Heiligen Qurans sind so intensiv und unterschiedlich interpretiert worden wie die obigen. Und es sind auch eben jene Verse, die Christen und Muslime stark unterscheiden. Das gesamte heutige Christentum fundiert auf dem Kreuztod Jesus’ und nicht auf seinen Worten, Lehren oder Taten. Dieses Dogma geht so weit, dass das Kreuz als eine Art Denkmal, das einige sogar anbeten, eingeführt wurde und die Heilsverkündung abgeschlossen zu sein scheint, als habe Jesus mit seinem Tod am Kreuz alles für uns erledigt. Auch im Judentum gibt es über diesen vermeintlichen Tod viele Interpretationen, was dieser für sie bedeutet, bis dahin, dass sie sich rühmen, Jesus getötet zu haben.


Jesus als Mysterium unserer Zeit

„Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln“ [Galater 5:25].

Aber welches Mysterium, das für uns heute noch von Bedeutung wäre und bis in die Gegenwart hineinreicht, könnte hinter dieser Absicht stecken, uns Gläubige so uneins über die Kreuzigung sein zu lassen? Alle Geschichten der Propheten sind letztendlich abgeschlossen und ihr Heilsweg verkündet, nur eben die Geschichte und der Heilsweg Jesu nicht. Mein Interpretationsansatz gelingt nur, wenn wir uns dem Wesen Jesus als Wort und Geist aus Gott, als unsterblichen Logos widmen und uns seiner herausragenden Stellung als jemand, der am Ende der Zeit wieder auf die Erde herabsteigt, um Gericht zu halten über die Menschen und den Antichristen zu töten, bewusst werden. Seine Geschichte ist nicht abgeschlossen und das ist von großer Bedeutung, weil auch wir noch Teil dieser Geschichte werden können.

Al-Buchari und Muslim berichten, dass der Prophet (s.) sagte: „Bei Dem, in Dessen Hand mein Leben ist, der Sohn Marias (a.), wird bald als gerechter Richter unter euch herabkommen. Er wird die Kreuze zerbrechen, das Schwein töten und Dschizyah abschaffen und der Wohlstand wird in einem solchen Ausmaß fließen, dass keiner ihn annehmen wird.“[2] Wenn Gott sagt, dass er Jesus zu sich erhoben hat und er somit keinen Tod gestorben ist, dann ist darin meines Erachtens die wichtigste Botschaft zu erkennen.

Denn dieses Vorgehen kommt dem gleich, was die Christen als Entrückung verstehen. Es ist kein Tod, sondern ein Übergehen in einen verborgenen Zustand bei Gott, weil man noch eine Aufgabe auf Erden zu erledigen hat, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Seine Geschichte ist somit nicht zu Ende erzählt, es folgt noch ein Kapitel, und wir werden unmittelbar an der Heilsgeschichte beteiligt werden, so Gott will. Tatsächlich ist er, so wie Jesus selbst von sich sagte, mitten unter uns und wird in seiner wahren Gestalt für uns am Ende der Zeit wieder offenbar.

Gott lehrt uns damit, dass es diesen Zustand der Verborgenheit gibt, weil er es bereits geschehen ließ und es nun ein weiteres Mal getan hat. Denn genau in diesem Zustand befindet sich auch Imam Mahdi (a.). Auch er ist keinen irdischen Tod gestorben, sondern befindet sich in derselben verborgenen Wirklichkeit, um seinen Auftrag eines Tages zu vollenden. Auch Imam Mahdi (a.) ist mitten unter uns, nur nicht für jeden sicht- bzw. erkennbar und dennoch wirklich. Es wirken beide schon geistig in uns. Umso bewusster wir uns ihrer Wirklichkeit werden, desto stärker verwirklichen sie sich in und durch uns, bis sie in und durch uns so lebendig werden, dass sie uns in ihrem wahren Dasein erscheinen. Wir müssen jetzt am Ende der Zeit, egal ob Christen oder Muslime, durch den Geist Gottes aufsteigen und erkennen, was für eine Schöpfung Gott im Menschen hineingelegt hat: Die Vervollkommnung in Gott, die wir erreichen können und die höchste Stufe der Statthalterschaft ist die Menschwerdung schlechthin. Darin ist das Versprechen Gottes zu finden, der diesen Heilsweg für die Menschheit vorgesehen hat und die sich am Ende der Zeit durch Jesus (a.) und Imam Mahdi (a.) offenbart.

„Und als dein Herr zu den Engeln sprach: ‚Ich werde auf der Erde einen Nachfolger einsetzen.‘ Sie sagten: ‚Willst Du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt, während wir dein Lob singen und deine Heiligkeit rühmen?‘ Er sprach: ‚Ich weiß, was ihr nicht wisst.‘“ [Heiliger Quran, 2:30]. Imam Mahdi (a.) und Prophet Jesus (a.) teilen damit ihr Schicksal und ihren Heilsweg für die Menschheit am Ende der Zeit. Wen wundert es jetzt noch, dass beide am Ende der Zeit wiederkehren werden, um den Antichristen in seiner Wirklichkeit, die uns ebenfalls zunehmend offenbar wird, zu töten und somit eine gerechte Zeit zu etablieren. Christen und Muslime, die das Mysterium verstanden haben, werden dann Hand in Hand gehen.


Die Bedeutung für uns heute

In einer Überlieferung in Sahih Muslim heißt es über die Zeit der Wiederkehr: „Ein Teil meines Volkes wird nicht aufhören, für die Wahrheit zu kämpfen und wird sich bis zum Tag der Wiedererweckung durchsetzen. Jesus, der Sohn Marias, wird dann herabsteigen und ihr Führer (der Muslime) wird ihn einladen zu kommen und das Gebet zu führen, aber er wird sagen: ‚Nein, einige von euch sind Befehlshaber über andere (von euch). Dies ist die Ehre Gottes für diese Nation.‘“[3]

Wie werden wir aber Teil der Heilsgeschichte, wenn wir das Erscheinen der Erlöser vielleicht nicht erleben sollten? Die allermeisten von uns erreichen keine so hohe Stellung und können sich nicht so vervollkommnen, dass der Heilige Geist ganz in ihnen wirkt, wie in den Propheten oder in dem Menschen, der die Statthalterschaft Gottes auf Erden einnimmt. Es bringt auch nichts, wenn wir uns als Einzelperson vervollkommnen, dies aber nicht in die Menschheit wirkend hineintragen können. Dieser Weg muss viel mehr in die Gemeinschaft führen, in der wir uns als ein Ganzes, als einen Organismus in Gott verstehen können.

Wir wissen, dass viele Menschen ihre ganz eigenen, von Gott gegebenen Fähigkeiten besitzen, zum Teil herausragende Fähigkeiten. Jeder bewundert sie dafür und spürt, wie sie geführt werden, wenn sich diese Fähigkeiten durch Rede oder Schrift offenbaren. Sie erscheinen als die Besten unter uns; man spürt bei einigen guten Rednern geradewegs, dass Gott übernommen hat und sie kein Wort mehr aus sich selbst heraus sagen: Ihr Wort wurde zu Gottes Wort. Aber auch einfachere Fähigkeiten sind ebenso wichtig in der Gemeinschaft. Denn selbst der beste Prediger kann nicht lange reden, wenn ihm nicht irgendwann jemand ein Glas Wasser reicht – und dieses Wasserreichen kann auch symbolisch verstanden werden. Denn Wasser ist das Symbol für den Geist schlechthin und nicht umsonst erscheint Jesus (a.) dem Propheten Muhammad (s.) als ein Mann, von dessen Haar Wasser tropft.

Der Heilige Geist wirkt durch uns in der Gemeinschaft durch die vielen kleineren Gaben; von Gott an die Menschen, indem jeder seine Fähigkeiten einbringt, einsetzt und so jeder seinen Platz einnehmen kann und darf. Auch die islamische Weltgemeinschaft (Ummah) sollte sich als einen gottgeschaffenen Organismus verstehen, in dem der Geist aus Gott vollendet wirken kann. So sagte der Prophet (s.) einigen Überlieferungen zufolge: *„Die islamische Gemeinschaft gleicht einem einzigen Körper. Wenn ein Glied leidet, so leidet der ganze Körper.“

Den Geist Gottes und seinen Willen können wir in uns spüren und damit ganz bewusst versuchen, seinen Willen und sein Werk zu verrichten. Wenn wir aber diesen Pfad gehen wollen und ganz in Gott leben wollen, dann müssen wir auch so handeln, sodass wir uns als einen aktiven Teil dieser gesamten Heilsgeschichte verstehen. Wir können unsere Fähigkeiten – den Willen Gottes zu erkennen – trainieren, denn wir sind als Menschen so geschaffen worden, dass wir diese Fähigkeit von Natur aus haben, weil wir bereits Träger Geist Gottes sind. Jeder spürt diesen, wenn er den Frieden Gottes in einer Angelegenheit in sich wahrnimmt, aber auch die Unruhe bei einer anderen Angelegenheit, die dringend seiner Beachtung und seines Wirkens bedarf. Gott verlangt damit von jedem, in sich hineinzuhören und in der Angelegenheit die Botschaft Gottes zu erkennen, aber auch, selbstkritisch immer wieder eigene Sünden zu erkennen und zu überwinden. Ist sich eine Gemeinschaft uneins, so soll sie auf die beste Weise streiten, bis jeder den Frieden Gottes wahrnimmt. Ist man allein und weiß nicht, auf welche Art gehandelt werden sollte, um den Frieden Gottes zu erlangen, so frage man Gott selbst, denn er genügt als Fürsprecher. Jeder wird die beste Antwort erhalten.

Eine andere Hilfestellung ist jedoch auch, sich vorzustellen, was der Prophet (s.), Jesus (a.) oder die Reinen der Prophetenfamilie (a.) in dieser akuten Situation tun würden. Überall hat der Mensch Möglichkeiten zu erfahren, was der Wille Gottes ist und mit der Übung und der eigenen Vervollkommnung hat auch jeder Mensch die Möglichkeit seinen Willen komplett dem Willen Gottes zu unterwerfen, so wird der Wille des Individuums zum Willen Gottes und dann übernimmt Gott für den Menschen sein Handeln: Sein Mund wird zum Mund Gottes, sein Auge zum Auge Gottes, seine Hand zur Hand Gottes.

Wenn wir diesem Pfad folgen, ermöglichen wir es uns, dass der Geist der Erlöser sich zuerst durch uns selbst und in uns selbst verwirklichen kann, denn sie sind Gottes Geist und Wirken in der Endzeit. Damit bereiten wir den Weg für ihr Kommen durch uns. Ob sie dann physisch tatsächlich erscheinen oder wir gar durch unseren Tod ihr Erscheinen nicht mehr erleben, ist für unseren persönlichen Heilsweg mit diesem geistartigen Prinzip unerheblich, denn unsere Absicht war damit stets, das Beste zu bewirken und den Weg zur Wahrheit und Gerechtigkeit zu vollenden. Wir sind damit nicht mehr passiv auf ihr Erscheinen ausgerichtet, unter dem Motto, Imam Mahdi (a.) und Jesus (a.) werden alles für uns erledigen und lösen. Nein, diese Haltung heißt Aktivität und mehr denn je, das Gute zu gewähren und das Schlechte abzuwehren.

Dieses Lebensprinzip bedeutet Aktivität und Widerstand gegen jede Lüge, Ungerechtigkeit, Weltverschwörung, gegen das Böse in der Welt und gegen jede Manifestation des Satans, der am Ende der Zeit seine Machtposition auszubauen versucht. Dennoch bedeutet dieser Weg auch Kampf gegen unseren eigenen Egoismus. Es bedeutet, mit jedem Schritt nach der neuen Welt zu trachten, die bereits von Gott erschaffen wurde und in der wir Menschen alles hinter uns lassen, was satanisch ist, wie Gier, Lüge, Täuschung, Betrug, Neid oder Unterdrückung. Eine Welt, die Gott als Oberhaupt hat und in der wir seine Liebe leben.

In keiner Zeit hat der Satan sich so offenbart wie in dieser Zeit. Er stellt seine Pläne für jeden, der die Wahrheit sehen will, zur Schau. Nicht umsonst heißt Apokalypse Entschleierung. Und genau deswegen muss jeder fest in dem Wissen gesichert sein, dass Gott ihm überall unterstützt und Wege zeigt und für ihn alles zusammenfügt, wie es für ihn am besten ist: „Was wird euer Zustand sein, wenn der Sohn Marias zu euch herabsteigt und ein Imam mit euch sein wird?“[4]

1-Millenarismus ↩︎

2-Internetquelle der Überlieferung aus Buchari und Muslim ↩︎

3-Ebenda. ↩︎

4-Ebenda. ↩︎

 

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