IQNA: Nach 471 Tagen blutigen Krieges im Gazastreifen wurde am Sonntag, den 19. Januar um 8:30 Uhr (Ortszeit) endlich die erste Phase eines neuen Waffenstillstands zwischen dem zionistischen Regime und dem Widerstand Palästinas im Gazastreifen in Kraft gesetzt.
Dieser Waffenstillstand soll nicht nur die Kämpfe vorübergehend beenden, sondern hat auch eine besondere Bedeutung, da er Mittel zum Austausch von Gefangenen und Einleitung eines komplexen Prozesses zur Stabilisierung der Region darstellt.
Der neue Waffenstillstand zwischen dem israelischen Regime und der Hamas, der unter der Aufsicht Ägyptens, Katars und der USA vereinbart wurde, soll in der ersten Phase für sechs Wochen umgesetzt werden und in die zweite und dritte Phase übergehen, wenn alle Parteien sich an ihre Verpflichtungen halten. Ziel dieser Vereinbarung ist zunächst die Freilassung von Gefangenen beider Seiten.
Medien Palästinas und Israels Berichten zufolge sollen in der ersten Phase 33 zionistische Gefangene freigelassen werden. Zionistische Quellen gaben am Freitag außerdem die Zahl der freizulassenden palästinensischen Gefangenen mit 737 bekannt. Diese Zahl wurde von den ägyptischen Behörden am Samstag allerdings mit 1.890 Personen bekannt gegeben.
In diesem Zusammenhang hat Sky News Arabic in einer Notiz die Gründe für Netanjahus Zustimmung zu diesem Waffenstillstand untersucht. Die Übersetzung dieser Notiz finden Sie unten:
Während die Kämpfe im Gazastreifen weitergingen und es auf beiden Seiten zu schweren Verlusten kam, wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas-Bewegung verkündet. Dies wirft grundsätzliche Fragen über die Motivation des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf dem Waffenstillstand in diesem kritischen Moment zuzustimmen.
Das von Katar vermittelte und von internationaler Unterstützung getragene Waffenstillstandsabkommen löste hinsichtlich seiner Gründe und seines Zeitpunkts breite Kontroversen aus, insbesondere weil Netanjahus Regierung innerhalb und außerhalb des Landes zunehmendem Druck ausgesetzt ist.
In dieser Notiz werden wir die wichtigsten Meinungen und Analysen zu Netanjahus politischen und militärischen Gründen für diese Entscheidung untersuchen.
Unter dem ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden äußerten die USA den Wunsch nach einem schnellen Ende der Kämpfe in Gaza, zumal diese zahlreiche Palästinenser das Leben kostete und in Gaza große Zerstörung angerichtet wurde.
Tom Harp, Direktor der American Middle East Coalition for Democracy, sagte gegenüber Sky News Arabic, der internationale Druck aus Washington ist ausschlaggebend gewesen, Netanjahu zum Abschluss des Abkommens zu zwingen.
Harp betonte, dass die US-Regierung von den Errungenschaften der vorherigen Trump-Regierung profitierte, was zu einer Beschleunigung des Abkommens beitrug.
Harp betonte jedoch, dass dieses Abkommen nicht das Ende des Konflikts bedeute, sondern vielmehr Beginn einer neuen Phase des Wiederaufbaus des Gazastreifens mit internationaler Beteiligung.
Er fügte hinzu, dass Israel angesichts der steigenden Verluste im Feld gezwungen war von seiner kostspieligen militärischen Option abzurücken.
Israelische militärische Verluste
Ali al-Hail, Professor für Politikwissenschaft und Medien, sagte in einem Interview mit der Nachrichtenredaktion von Sky News Arabic: Israel erlitt in den letzten Tagen viele Verluste, sowohl an Kräften als auch an Ausrüstung. Das Hauptziel des Widerstands sind israelische Soldaten. Dies erhöhte den Druck auf die israelischen Behörden einem Waffenstillstand zuzustimmen.
Al-Hil weist auch darauf hin, dass der Widerstand Palästinas nicht seine gesamte militärische Macht verlor, sondern trotz des großen Unterschieds in der militärischen Stärke zu Israel strategische Gewinne erzielte. Diese Schäden veranlassten die Bewohner des besetzten Palästina dazu ein Ende der Kämpfe zu fordern, da Umfragen zeigen, dass 58 % der Israelis einen Rückzug aus Gaza wollen.
Doch Roni Shaked, Fellow am Truman Peace Institute der Hebräischen Universität Israels, glaubt, dass Netanjahu zwischen innerem und äußerem Druck gefangen ist.
Er sagt: Netanjahu zögerte einem Waffenstillstand zuzustimmen, weil er einen Zusammenbruch seiner Regierung befürchtete. Als jedoch klar wurde, dass er seine Ziele mit einer militärischen Lösung nicht erreichen würde, war er gezwungen zuzustimmen.
Er fügt hinzu: Gegenwärtig ist die politische Opposition in den besetzten Gebieten schwach, was Netanjahu großen Handlungsspielraum gibt. Allerdings stellen die Spannungen innerhalb der Regierung Netanjahu weiterhin eine Herausforderung für ihn dar, insbesondere seitens der rechtsextremen Bewegung, die eine Ausweitung der Siedlungen im Gazastreifen fordert.
Unmöglichkeit die Hamas zu zerstören
In diesem Zusammenhang betonte Mohammed Ezz al-Arab, Leiter der Abteilung für arabische und regionale Studien am Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien, dass die Hamas in den letzten Monaten brutalen Angriffen ausgesetzt war, die zu einem großen Teil dazu führten, dass sie einige seiner Kommandeure und Streitkräfte verlor.
Er fügt hinzu: Israel setzte auf die Erschöpfung der Hamas, erkannte jedoch, dass die völlige Vernichtung der Hamas ohne enorme menschliche und finanzielle Verluste nicht möglich ist. Der Waffenstillstand gibt Netanjahu zudem die Möglichkeit durch Freilassung seiner Gefangenen seine politischen Ziele zu erreichen.
Wiederaufbau des Gazastreifens und Zukunft
Was den Wiederaufbau des Gazastreifens betrifft, so wird die Waffenstillstandsvereinbarung nach Ansicht von Experten erhebliche logistische und politische Herausforderungen mit sich bringen.
Al-Hail ist davon überzeugt, dass Gaza für den Wiederaufbau seiner Infrastruktur umfassende internationale Unterstützung benötigt. Allerdings bleibt die Frage: Wer wird die Verwaltung des Gazastreifens übernehmen?
In diesem Zusammenhang hat Tom Harp die Möglichkeit erwähnt, eine nationale oder internationale Truppe zur Regierung des Gazastreifens zu bilden, obwohl es unwahrscheinlich erscheint, dass die Hamas weiterhin die absolute Kontrolle über Gaza behalten wird.
Er fügt hinzu, dass das Waffenstillstandsabkommen den Beginn einer neuen Verhandlungsphase über die Zukunft des Gazastreifens markieren könnte.
Trumps Rolle und Einfluss auf diese Gleichung
Viele Experten weisen auf den Einfluss des neuen US-Präsidenten Donald Trump auf die Entscheidung Israels hin einen Waffenstillstand zu schließen.
Roni Shaked bezeichnete dieses Abkommen als „Trump-Deal“ und erklärte: Der Druck, den Trump in der Vergangenheit ausübte trug dazu bei den Raum für dieses Abkommen zu bereiten. Trumps Anwesenheit war für Israel in vielen Fragen von Vorteil, doch der gegenwärtige US-Druck zwingt Netanjahu zur Kooperation.
Der Zeitpunkt von Netanjahus Zustimmung zum Waffenstillstand spiegelt ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren wider, darunter internationaler Druck, innenpolitische Herausforderungen und militärische Verluste. Trotz der Kritik an seiner Regierung scheint Netanjahu zu versuchen dieses Abkommen auszunutzen, um die innenpolitischen Spannungen abzubauen und seine politische Position zu stärken.
Solange die beiden Seiten jedoch keine umfassende Lösung zur Gewährleistung der Rechte der Palästinenser und zur Vermeidung von Spannungen in der Region erreichen besteht weiterhin die Möglichkeit weiterer Zusammenstöße im Gazastreifen.
Übersetzt ins Persische von Fereshteh Seddiqi
Übertragen vom Persischen ins Deutsche von Stephan Schäfer
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