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Notiz

Von Gaza bis Sudan: Befreiung arabischer Regierungen aus dem Kreis des Arabismus und Islam

10:29 - November 09, 2025
Nachrichten-ID: 3013870
IQNA- Aus den Tiefen der Tragödien, die sich unauslöschlich in unser Unterbewusstsein ein-brannten – von Gaza über Suwaida bis Sudan – erhebt sich eine bittere existenzielle Frage: Wie kann man weiterhin einer Identität angehören, die zur Entschuldigung für die abscheulichsten Verbrechen wurde?!

In einer an IQNA übermittelten Notiz kritisierte der libanesische Schriftsteller und Analyst Naji Ali Amhez die Gleichgültigkeit arabischer und islamischer Länder gegenüber den Tragödien und Verbrechen gegen Muslime von Gaza bis Sudan und schrieb: Über die Jahrhunderte hinweg tat sich die arabisch-islamische Mentalität darin hervor äußere Ausreden zu finden, um ihre eigenen Versäumnisse und Verbrechen zu vertuschen, in einem kontinuierlichen Kreislauf der Selbstverleugnung und Vermeidung und Ablehnung von Verantwortung.

Vor 700 Jahren: Als im Nahen Osten das Blut von Minderheiten (Christen, Schiiten und Drusen) vergossen, ihre Frauen versklavt und ihre Ländereien geplündert wurden, waren Fatwas die sie als „Dhimmi“ oder „Ungläubige“ einstuften, leicht erhältlich und gaben den Invasoren damit die rechtliche Erlaubnis ihre Verbrechen unbekümmert zu begehen.

Vor 150 Jahren: Als sich wissenschaftlicher und sozialer Rückschritt ausbreitete, wurde die Schuld der osmanischen Regierung zugeschoben. Man sagte, die Osmanen hätten als Nicht-Araber die Reinheit des Islam mit ihren Sitten und Gebräuchen „befleckt“ und daher sei der Niedergang jemand anderem anzulasten.

Vor 100 Jahren: Als in der Region keine politische oder industrielle Entwicklung erkennbar war, wurde der westliche Kolonialismus als Ausrede benutzt, der die Ressourcen plünderte und die Araber in einem Zustand der Rückständigkeit hielt. Obwohl während der Mandatszeit Schulen und Universitäten gegründet und wissenschaftliche Delegationen in den Westen entsandt wurden, blieb die Opferrolle weiterhin bestehen.

Mit Anbruch des neuen Jahrtausends entwickelte sich dieses Monster weiter und nahm extremere Formen an, doch die Logik der Rechtfertigung blieb dieselbe:

Al-Qaida: Als der Terrorismus von Al-Qaida aufkam, lehnten arabische und islamische Konferenzen ihn hastig ab, da sie die Ideologie der Organisation als Import aus gewalttätigen Kulturen in Afghanistan, Pakistan und dem Kaukasus betrachteten und den Islam „eine Religion der Barmherzigkeit für die gesamte Menschheit“ von ihren Taten freisprachen.

IS: Dann kam der IS , dessen Verbrechen jegliche Vorstellungskraft übertrafen. Sie massakrierten Kinder, verbrannten Menschen bei lebendigem Leibe, vergewaltigten Frauen und zerstörten kulturelles Erbe und die Zukunft durch Bombenanschläge auf antike Stätten und Schulen. Trotz dieser grässlichen Brutalität wurde die Organisation von arabisch-islamischen Plattformen unter dem Vorwand unterstützt, gegen „abtrünnige, mit dem Iran verbundene Regime“ zu kämpfen, die angeblich die „Befreiung Jerusalems“ verhinderten.

Was wir heute erleben, ist nicht einfach eine Wiederholung der Geschichte, sondern ein vollständiger Zusammenbruch jeglicher moralischer oder menschlicher Fassade:

Gaza und der stille Völkermord: Gaza wurde vor den Augen und Ohren der Welt zerstört und seine Bevölkerung massakriert. Keine Institution der muslimischen Welt ergriff Maßnahmen, um ihre Glaubensbrüder zu verteidigen. Schlimmer noch: Religiöse Würdenträger, die zuvor den IS gerechtfertigt hatten schwiegen oder rechtfertigten gar Mord an Kindern und Frauen durch Israel. In einem ohrenbetäubenden Paradoxon erklangen in den arabischen Hauptstädten immer wieder Gesang und Musik als sei die von vorislamischen Dichtern besungene arabische Ritterlichkeit gänzlich verschwunden.

Als schiitische Gruppen sich zur Verteidigung des Gazastreifens mobilisierten und alles in ihrer Macht Stehende für dessen Verteidigung einsetzten, wurden sie mit Angriffen und Apostasievorwürfen konfrontiert unter dem Vorwand, dass „Schiiten für den Islam gefährlicher seien als Juden“, die als „Schriftbesitzer“ gelten. Diese Haltung offenbarte die Tiefe der konfessionellen Spaltung, die weit über jedes Gefühl religiöser oder arabischer Einheit hinausgeht.

Als die Nusra-Front (die ideologische Nachfolgerin des IS) in Syrien Gebiete eroberte, verübte sie entsetzliche Massaker an Minderheiten. Hunderttausende Alawiten wurden vertrieben und getötet, allein aufgrund ihrer Treue zur syrischen Regierung. Dann folgte die finale Katastrophe in Suwaida, wo die Nusra-Front drusische Dörfer angriff und Verbrechen beging, die die Menschheit beschämen. Ärzte und Patienten wurden in Krankenhäusern brutal ermordet, Menschen in ihren Häusern und auf offener Straße brutal hingerichtet und Frauen vergewaltigt. Auf die Frage nach dem Warum, insbesondere da die Drusen ihnen beigestanden und an ihrer Seite kämpften, lautete die Antwort: Sie seien ja „Ungläubige“! Plötzlich, nach Jahrzehnten des Zusammenlebens, wurden sie zu Ungläubigen erklärt, deren Blut vergossen wurde.

Die Gräueltaten, Vergewaltigungen, Morde und ethnischen Säuberungen der Rapid Support Forces im Sudan überschritten alle Grenzen. Berichte über Zivilisten nicht-arabischer Stämme, die getötet wurden, während sie „Wir sind sunnitische Muslime!“ riefen und ihnen dann gesagt wurde: „Wir sind keine Araber“, zeigen, dass das Problem tiefer reicht als die Religion. Es handelt sich um identitätsbasierte Gewalt, die das Töten um des Tötens willen rechtfertigt.

Angesichts dieser Realität gibt es keine Rechtfertigung mehr für ein Verbleiben. Dieses Töten wird im Namen des Islam und der arabischen Identität verübt.

• Auch das sunnitische Gaza blieb aufgrund der Unterstützung durch die Schiiten nicht verschont.

• Auch die arabischen Drusen wurden aufgrund ihrer arabischen Identität und ihrer guten Nachbarschaft nicht verschont, da sie als „Ungläubige“ galten.

• Auch die sunnitischen Sudanesen wurden aufgrund ihres Islams nicht verschont, denn sie sind keine Araber.

Darüber hinaus gibt es religiöse Extremisten, die an starren Texten festhalten, welche wissenschaftliche Wahrheiten wie die Kugelgestalt der Erde ablehnen, verbieten Organspenden die Leben retten, unterdrücken Frauen als „mangelnd an Vernunft und Glauben“ und führen Krieg gegen Kunst, Musik, Bildhauerei und Malerei.

Wenn wir in der Soziologie keine Fortschritte gemacht haben, wo Dichter verurteilt und ihre Werke verboten werden, wenn wir in Demokratien und zivilisiertem Machtwechsel hinterherhinken, wenn wir in der Metall- oder gar Kunststoffindustrie keinen Erfolg hatten und völlig unwissend in Programmierung und Technologie sind und wenn wir in der Medizin und Behandlung von Krankheiten die Bedeutung der Zeit nicht verstehen, was tun wir dann in dieser Welt und was ist unsere Rolle?

Bitte geben Sie mir Rat: Was sollen wir tun? Wenn uns diese Auslegung der Religion und dieser arabischen Identität in den Abgrund der Geschichte zieht, uns unserer Menschlichkeit beraubt und uns zu einem Leben voller Terror und existenzieller Angst verdammt, wie können wir dann Erlösung finden?

Übersetzt ins Persische von Fereshteh Seddiqi

Übertragen vom Persischen ins Deutsche von Stephan Schäfer

 

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