Der Giftgasangriff auf Halabdscha war ein Angriff der Irakischen Luftwaffe auf die hauptsächlich von Kurden bewohnte irakische Stadt Halabdscha in der heutigen autonomen Region Kurdistan. Bei dem Angriff, der am 16. März 1988 gegen Ende des Ersten Golfkriegs stattfand, starben zwischen 3200 und 5000 Menschen. Sie wurden grausam vor den Augen der Weltöffentlichkeit massakriert .
Es war der schlimmste Giftgaseinsatz seit dem Ersten Weltkrieg: Vor 33 Jahren wurde die irakische Stadt Halabdscha bombardiert – von Saddam Husseins Armee. Der Diktator wollte ein Exempel an der kurdischen Minderheit statuieren. Chemikalien und Geräte für die Waffenherstellung lieferte der Westen.
Von Kerem Schamberger
Klonk, Klonk, Klonk. Am 16. März 1988 ertönten dumpfe metallene Aufschläge auf den niedrigen Dächern Halabdschas. Tödliche Gase, schwerer als Luft, begannen sich in den Straßen und Kellern auszubreiten und mit ihnen den Tod.
Die irakische Luftwaffe warf daraufhin Senfgas un1d andere Kampfstoffe über
der Stadt ab. Aber nicht bevor sie mit kleinen Papierschnipseln die Windrichtung getestet hatte, damit das Gift auch wirklich seine volle Wirkung entfalten und nicht davon geweht werden würde. Das Ziel war die kurdische Zivilbevölkerung und nicht das Militär, das sich durch Gasmasken schützen konnte. Bis zu 5000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder starben innerhalb von 60 Minuten. Sie erstickten. Besser gesagt verbrannten sie innerlich. Ungefähr 10.000 Personen wurden durch schwerste Verbrennungen und Verätzungen dauerhaft geschädigt. Noch heute leiden sie an den Langzeitschäden. Damals war der Irak ein Verbündeter des Westens, der USA und so folgte erst Tage und Monate später eine zögerliche Verurteilung des Massenmords. Der Spiegel schreibt dazu: „Die Empörung im Westen war so groß wie heuchlerisch. Aus politischen Gründen hatten besonders die USA jahrelang den Irak gestützt – zu groß war nach der Islamischen Revolution die Angst vor dem iranischen Gottesstaat. Der Sondergesandte Donald Rumsfeld, später US-Verteidigungsminister, schüttelte Hussein bei einem Besuch 1983 freundschaftlich die Hand, was ihn Jahrzehnte später in Erklärungsnot brachte. Auch sonst vermieden westliche Regierungen so ziemlich alles, was den irakischen Diktator verärgert hätte. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag stufte den Giftgasanschlag später als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein, doch zunächst blieb es erstaunlich ruhig. „Frankreich und die USA verhielten sich auf ähnliche Art und Weise“, erklärte der französische Spitzendiplomat Éric Rouleau einmal in einem Interview. ‚Sie ignorierten das Massaker regelrecht, sie hinterfragten es, sie wollten nicht darüber reden.‘“
Und Deutschland?
Wie an so vielen globalen Kriegsverbrechen war auch an diesem Deutschland maßgeblich beteiligt. Im Falle Halabdschas war es die Firma Karl Kolb GmbH aus dem hessischen Dreieich. Sie lieferte die nötigen Stoffe zur Herstellung der Giftwaffen an die Saddam-Diktatur. Der im Nachhinein beschuldigte Unternehmer Dieter Backfisch, damaliger Geschäftsführer, sagte zu den Vorwürfen nur „Ich kann noch ruhig schlafen“. Und in der Tat hatte er keinen Grund zur Beunruhigung. Es kam zu keinerlei Verurteilung, da laut den Gerichten nicht einwandfrei festgestellt werden konnte, für was die gelieferten Stoffe alles verwendet wurden. Denn bei diesen handelte es sich um sogenannte Dual-Use-Gütern, also Dinge, die für mehrere Zwecke eingesetzt werden können und durch das Außenwirtschaftsgesetz geregelt sind. Die Autoren des begleitenden Kommentars zum Gesetz schreiben, dass die Vorschriften „im Zweifelsfall zugunsten des Freiheitsprinzips auszulegen“ seien, also im Sinne der exportorientierten Wirtschaft. Und so konnten die liefernden Firmen aus Deutschland einfach behaupten, dass es sich um Unkrautvernichtungsmittel und kein Giftgas gehandelt habe. „Aber 70% aller Giftgasanlagen im Irak kamen von deutschen Firmen. Später wurde bekannt, dass in den Firmen zahlreiche Mitarbeiter des BND arbeiteten“, schreibt medico international. Das es zu keiner einzigen Verurteilung kam, stimmt übrigens nicht ganz: medico international wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie hatten ein medizinisches Antidot gegen Giftgas nach Kurdistan geschmuggelt und damit gegen die Außenhandelsrichtlinien der Bundesrepublik verstoßen.
Noch heute übrigens ist die Bundesrepublik laut Spiegel einer der größte Exporteure chemisch-pharmazeutischer Stoffe. Stoffe, die auch damals in Halabdscha zur Anwendung kamen. Fast eine halbe Millionen Menschen arbeiten laut Branchenverband VCI in der chemisch-pharmazeutischen Industrie Deutschlands. Alleine in den Jahren 2002 bis 2006 wurden chemische Mittel im Wert von ca. 500 Milliarden Euro exportiert. (Quelle: actvism.org)
Vergessener Völkermord
Nach 1990 wurde insgesamt gegen 22 Angestellte von zehn deutschen Firmen ermittelt – am Ende standen nur drei kurze Bewährungsstrafen. Entschädigungen zahlte niemand, auch nicht andere Firmen und Nationen, die in ähnlicher Weise involviert waren. Nach den deutschen Gerichtsprozessen der neunziger Jahre verschwand das Massaker wieder aus den Schlagzeilen. Ziemlich unbemerkt litten die Menschen in Halabdscha an den Spätfolgen: Krebs, Fehlgeburten, Unfruchtbarkeit.
Aus Sicht der Kurden war das Giftgas auch aus einem anderen Grund ein Fluch: Die panische Angst vor chemischen Vernichtungswaffen ließ die Welt vergessen, dass Saddam Hussein mit der Operation „Anfal“ von 1986 bis 1989 einen Völkermord an Kurden verübte – und zwar überwiegend mit klassischen Mitteln: Hunderte kurdische Dörfer wurden bombardiert, die Überlebenden in die Wüste getrieben und dort von Erschießungskommandos umgebracht. (Quelle: Spiegel)