Der Koran gilt in seinem arabischen Original als unglaublich schöner Text, dessen Rezitation viele Muslime und Nichtmuslime in ihren Bann zieht, selbst wenn sie die Verse nicht unbedingt verstehen. Benjamin Idriz, der Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg in Oberbayern, konnte den Koran schon im Alter von elf Jahren vollständig auswendig. Doch es geht ihm nicht nur um das schöne Rezitieren des Textes, sondern auch darum, den Sinn zu erfassen, wie er in seinem neuen Buch schreibt.
Gott spricht durch den Kosmos und die Vernunft
Idriz nennt den Koran, der in verschiedenen Etappen offenbart wurde, ein lebendiges Gespräch zwischen Gott und Mensch.
Auch wenn die Offenbarung nach islamischem Glauben mit dem Koran beendet sei, „Gott spricht durch den Kosmos und die Vernunft weiter mit uns“, so Idriz. Nicht für alle Fragen gebe es im Koran eine detaillierte Antwort, aber er liefere eine Inspiration und universelle Werte sowie Hinweise, um weiter nachzudenken.
Manche Verse nur im Kontext zu verstehen
Einige Verse und Stellen seien für die Gesellschaft in Mekka und Medina im siebten Jahrhundert relevant gewesen und hätten damalige Traditionen und Verhältnisse aufgegriffen. Heute seien sie nicht wörtlich zu nehmen. Das Gleiche gelte für Verse, die zu Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen. „Der Muslim darf in der heutigen Zeit mit sogenannten Ungläubigen nicht so umgehen“, mahnt Idriz.
Diese Verse seien vielmehr im Kontext damaliger Auseinandersetzungen zu verstehen. Er könne zwar alle Koranverse rezitieren. Aber es gebe Verse, die sozial bedingt, und andere, die universell seien. Und auf letztere müsse man sich konzentrieren.
Solidarität und Umweltschutz
„Leider haben Muslime selbst den Islam auf nur fünf Säulen reduziert.“ Idriz kritisiert dieses enge Islam-Verständnis und betont, dass der Koran als göttliches Wort eine universelle Botschaft hat. Auch Wissen, gesellschaftliche Entwicklung, Freiheit, Frieden, Gleichbehandlung aller Menschen, Armutsbekämpfung und Umweltschutz seien zentrale Säulen des Koran, die die Muslime selbst vernachlässigt hätten.
Zwar sind die Pilgerreise, das Fasten oder das fünfmalige Gebet Bestandteile des Islam. „Aber der Koran ist nicht nur ein Buch der Muslime, sondern eine göttliche Botschaft, welche für alle Menschen gelten sollte“, meint Idriz.