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Irakischer Anwalt im Interview mit IQNA

Gründe für Wiederaufleben terroristischer Gruppen in Syrien nach Sturz von Baschar al-Assad

15:08 - December 31, 2024
Nachrichten-ID: 3011920
Teheran (IQNA)- Anwar al-Khafaji erklärte: Einer der Gründe für das Wiederaufleben terroristischer Gruppen in Syrien war Missbrauch des politischen und wirtschaftlichen Chaos des Landes und die Schwächung der Macht der Regierung in einigen Gebieten Syriens.

Syrische bewaffnete Oppositionskräfte übernahmen am 8. Dezember die Kontrolle über Damaskus und einige andere Städte davor. Zu diesem Zeitpunkt zogen sich die Kräfte des Assad-Regimes aus öffentlichen Einrichtungen und Straßen zurück und auf diese Weise endeten die 61-jährige Herrschaft der Baath-Partei und die 54-jährige Herrschaft der Assad-Familie über Syrien. Gleichzeitig sind offene und offensichtliche Aggression des zionistischen Regimes gegenüber dem Golan und Ambitionen dieses Regimes gegenüber dem syrischen Territorium niemandem verborgen. Trotz des Waffenstillstandsabkommens mit dem Libanon setzt dieses Regime seine Aggression gegen dieses Land fort und die Gruppe, die derzeit Damaskus regiert, distanziert sich von dem was im Süden geschieht unter dem Vorwand, dass Syrien keinen weiteren neuen Krieg mehr ertragen kann. Sie halten an politischen Lösungen fest und verlassen sich auf diejenigen, die es bisher nicht schafften die Zionisten von der Besetzung dieses Landes abzuhalten.

 

Anwar al-Khafaji, ein irakischer Anwalt, sprach in einem Interview mit IQNA über die Situation in Syrien nach dem Sturz von Baschar al-Assad und Folgen der Wiedererlangung der Macht von Terrorgruppen in Syrien. Nachfolgend der Text dieses Interviews:

 

IQNA – Analysten betonen, dass sich die politische Szene in Syrien von der im Irak vor 2003 unterscheidet. Was sind diese Unterschiede?

Die politische Szene in Syrien unterscheidet sich stark von der im Irak vor 2003. Denn die politische und soziale Struktur dieser beiden Länder ist unterschiedlich. Im Irak zeichnete sich das Regime von Saddam Hussein durch die Baath-Partei aus, andererseits kam es zu einer deutlichen religiösen Polarisierung zwischen Sunniten und Schiiten, die zu einer Eskalation der religiösen Spannungen führte. Aber in Syrien stützte sich das Assad-Regime trotz großer religiöser und ethnischer Vielfalt auf die Alawiten-Minderheit, die staatliche Institutionen kontrollierte, jedoch ohne offensichtliche religiöse Polarisierung.

Auch internationale Interventionen im Irak waren bereits vor dem Sturz des Saddam-Regimes erkennbar, so dass der Irak bis zur Zeit des US-Krieges im Jahr 2003 langfristigen Sanktionen und internationalen Blockaden ausgesetzt war.

Im Gegensatz dazu war Syrien vor der Revolution von 2011 nicht direkt Zeuge internationaler Interventionen, war jedoch von Interventionen nach bewaffneten Konflikten betroffen. Diese Unterschiede zeigen die Komplexität der beiden politischen und sozialen Szenen in diesen beiden Ländern.

 

IQNA – Was steckt hinter dem Aufkommen terroristischer Gruppen in dieser Zeit, die Syrien angreifen? Und was führte dazu, dass diese Gruppen nach mehreren Jahren der Abwesenheit wiederbelebt wurden?

Die Entscheidung terroristischer Gruppen Syrien anzugreifen, ist auf mehrere strategische Faktoren zurückzuführen: erstens Missbrauch des politischen und wirtschaftlichen Chaos dieses Landes, das als Folge mehrjähriger Kriege entstand und die Macht der Regierung in einigen Bereichen schwächte. Zweitens ist die Reaktivierung dieser Gruppen auf das Sicherheitsvakuum in einigen Gebieten Syriens sowie auf regionale und internationale Spannungen zurückzuführen, die das Umfeld für ihre Aktivitäten geeignet machten.

Auch Verringerung des internationalen Fokus auf den Kampf gegen den Terrorismus in der Region und die Beschäftigung der Großmächte mit anderen Themen gaben diesen Gruppen die Möglichkeit ihre Reihen zu organisieren. Auch mangelnde Sicherheitskoordination zwischen den Konfliktparteien in Syrien trug zur Rückkehr dieser Gruppen bei.

 

IQNA – Können wir sagen, dass dieser Krieg dazu dient diese Gruppen loszuwerden und den Norden und Nordosten Syriens wiederherzustellen, insbesondere da wir den Wunsch der Türkei sehen ihre Beziehungen zu Syrien wiederherzustellen?

Man kann sagen, dass dieser Krieg Dimensionen hat, die über Zerstörung terroristischer Gruppen hinausgehen, weil die Konfliktparteien, nämlich Syrien und Türkei, versuchen strategische Ziele zu erreichen. 

Syrien sieht diesen Krieg als Chance die Kontrolle über die nördlichen und nordöstlichen Regionen des Landes zurückzugewinnen und die Einheit seiner Regionen nach dem Sturz von Baschar al-Assad zu stärken.

Aber die Türkei scheint zu versuchen die Terrorgruppen zu eliminieren, die die nationale Sicherheit dieses Landes, insbesondere an den Grenzen, bedrohen und bringt außerdem ihren Wunsch zum Ausdruck die Beziehungen zu Damaskus zu verbessern, um ihren politischen und sicherheitspolitischen Forderungen nachzukommen.

Der Sieg in diesem Krieg hängt jedoch von der internationalen und regionalen Koordination ab.

 

IQNA – Die Übergangsregierung in Syrien bemüht sich um Legitimität und freut sich darauf ihren Platz auf arabischer Ebene zu finden und sendet in allen Bereichen beruhigende Botschaften aus um die Araber zur Zusammenarbeit mit ihnen zu bewegen. Weil es erkannt hat wie wichtig dies ist um seine Legitimität in der Region auf der internationalen Bühne und sogar innerhalb Syriens zu etablieren. Wie bewerten Sie diese Probleme?

Der offene arabische Raum ist eine Chance für die syrische Operation ihre Position in der arabischen Region zu stärken und den internationalen Druck zu verringern, insbesondere durch ihre Verbindung mit der Terrorgruppe ISIS. Zusätzlich zu dem Versuch seine Beziehungen zu einflussreichen arabischen Mächten zu verbessern.

Allerdings stehen diese Bemühungen vor großen Herausforderungen! Dazu gehört die Spaltung der Positionen der Araber um den Wandel in diesem Diskurs zu akzeptieren und die Änderung der Richtung vom Terrorismus hin zur Einführung politischer und sozialer Reformen um in Zukunft eine Annäherung an die arabischen Länder herbeizuführen.

Die Übergangsregierung von al-Julani ist bestrebt regionale Legitimität zu erlangen, da dies ein Weg zur internationalen Legitimität ist und dies erfordert der internationalen Gemeinschaft Garantien zu geben, um diese Legitimität auf arabischer und internationaler Ebene zu stärken.

 

IQNA – Kürzlich betonte der Premierminister des Irak, Mohammad Shia al-Sudani, dass er den Willen der Syrer respektiere und sich einen umfassenden politischen Prozess wünsche. Was sind Ihrer Meinung nach die Fähigkeiten der Verbündeten Syriens, insbesondere des Irak, damit sich die syrische Regierung darauf verlassen kann, dass sie aus dieser schwierigen Situation herauskommen?

Der Irak gilt als wichtiger Verbündeter der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Regierungen Syriens im Umgang mit den aktuellen Bedingungen in diesem Land. Der Irak hat mehrere Möglichkeiten um Syrien zu unterstützen. Die offensichtlichste davon ist die gemeinsame Sicherheitskooperation zur Bekämpfung des Terrorismus an den Grenzen, insbesondere während der Bedrohung durch die Terrorgruppe ISIS. Der Irak kann diesem Land auch wirtschaftliche Unterstützung durch Handelsaustausch und die Wiederherstellung gemeinsamer Wirtschaftslinien wie der Öllinie zwischen den beiden Ländern bieten.

Auch politisch spielt der Irak eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Nähe der Araber zu Syrien durch Vermittlung mit anderen Ländern und die Nutzung seiner regionalen und internationalen Beziehungen. Darüber hinaus wird die Unterstützung des Irak für umfassende politische Maßnahmen in Syrien nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad die Chance auf Stabilität und Etablierung stärken und erheblich dazu beitragen das Leid des syrischen Volkes und der gegenwärtigen und künftigen Regierungen dieses Landes zu lindern.

 

IQNA – Maher Marwan, der von al-Julani ernannte neue Gouverneur von Damaskus, machte kürzlich seltsame Aussagen und forderte USA auf sich für den Frieden zwischen Syrien und Israel einzusetzen. Was ist Ihre Analyse in diesem Bereich?

Die Frage ist: Werden diese Aussagen einen echten Wandel herbeiführen oder handelt es sich lediglich um ein politisches Manöver?

Die Aussagen des neuen Gouverneurs von Damaskus waren eine beispiellose und kontroverse Aktion und könnten ein Spiegelbild der neuen politischen Entwicklungen in der Region sein, insbesondere des Aufstiegs von Ahmad Al-Schara (Al-Jolani) in der politischen Szene Syriens.

Es scheint, dass dies ein Schritt ist die regionalen Prioritäten neu zu setzen und vielleicht ein Versuch aus der politischen und wirtschaftlichen Isolation Syriens herauszukommen. Der Vorschlag wird jedoch auf starken Widerstand im In- und Ausland stoßen, da der Frieden mit Israel ein heikles Thema ist.

Was die Gedanken der Syrer betrifft, die von den Ideen und der Ideologie der Baath-Partei durchdrungen sind und dass die Syrer den Sturz des Assad-Regimes noch nicht erkannten glaube ich, dass dieser Vorschlag Zeit für die Araber und den Westen braucht diese Änderung zu akzeptieren.

 

IQNA – Wohin werden Ihrer Meinung nach als prominente Juristin die Ereignisse in Syrien am Ende führen?

Während sich die Ereignisse in Syrien beschleunigen, entwickelt sich alles in komplexe Bahnen, die von politischen und internationalen Faktoren beeinflusst werden. Aus rechtlicher Sicht stellen die anhaltenden Gesetzesverstöße und alarmierenden Berichte über Rachemorde und Tötungen von Loyalisten des ehemaligen syrischen Regimes, insbesondere von Alawiten oder ehemaligen Armeeangehörigen, schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dar, die zur Fortsetzung der Vertreibung führen. Es gibt Berichte über die Krise und Berichte über Tausende von Syrern, die im Irak Asyl suchen.

Arabische und internationale Bewegungen sollten danach streben ein sicheres Umfeld für alle Syrer zu schaffen und der Interessenkonflikt zwischen lokalen und internationalen Parteien sollte eine schnelle Lösung nach dem Sturz des syrischen Regimes nicht verhindern. Andererseits ist die Rechenschaftspflicht für begangene Straftaten ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung von Gerechtigkeit und zur Gewährleistung der Rechte der Opfer.

Die Zukunft erfordert ein kollektives Engagement für eine inklusive politische und staatliche Lösung, die die Souveränität Syriens und die Rechte seines Volkes respektiert und fern von ausländischer Einmischung, Terrorismus und Extremismus liegt.

Interview: Ashraf Basiri

Übersetzung ins Persische und Arrangement: Fereshte Seddiqi

Übertragumg vom Persischen ins Deutsche: Stephan Schäfer

 

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