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Das ungewisse Schicksal der Arabistik und Islamwissenschaften an europäischen Universitäten

18:18 - August 03, 2025
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IQNA- Zwei führende Universitäten in den Niederlanden schlugen vor ungünstige Fächer wie Islamwissenschaften und Arabisch aus ihren Lehrplänen zu streichen. Dies löste in der akademischen Gemeinschaft des Landes heftige Reaktionen aus.

IQNA:Nach der Universität Utrecht in den Niederlanden unternahm nun auch die Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Leiden in den Niederlanden, die als eine der renommiertesten Universitäten Europas gilt, einen umstrittenen Schritt: Sie kündigte einen Sparplan an, der die Einstellung des Islam- und Arabischunterrichts vorsieht – ein Fach, dessen Geschichte vier Jahrhunderte zurückreicht – um das Budget zu senken. (Quelle: Al Jazeera)

Die mögliche Entscheidung ist Teil eines umfassenderen Plans zur Umstrukturierung der Universitätsstudiengänge. Grund dafür ist ein erwartetes jährliches Haushaltsdefizit von bis zu 5,7 Millionen Euro, das durch steigende Kosten und Haushaltskürzungen der Regierung verursacht wird. Der Plan sieht eine deutliche Reduzierung der Studiengänge sowie die Abschaffung oder Zusammenlegung von Universitätsstudiengängen vor.

Die Arabische Sprachabteilung der Universität Leiden ist eine der ältesten Fachabteilungen der westlichen Welt. Im Laufe ihrer langen Geschichte trug der Studiengang maßgeblich zur Ausbildung intellektueller und diplomatischer Eliten bei, die eine zentrale Rolle für das Verständnis und Analyse der arabischen und islamischen Welt spielten. In dieser Zeit trug die Universität Leiden eine wertvolle Sammlung von Büchern und Manuskripten zusammen.

Der neue Plan sieht jedoch die Abschaffung aller Spezialisierungen im Bereich Nahoststudien vor, darunter Arabisch, Persisch, Türkisch, Hebräisch und Islamwissenschaften. Dieser Schritt löste in akademischen Kreisen Empörung aus. Einige argumentieren, die Universität gefährde damit die kulturelle und intellektuelle Vielfalt.

 

Zukünftige Diplomaten ohne Arabisch!

Angesichts der öffentlichen Besorgnis über die mögliche Einstellung des Arabisch-Programms an der Universität Leiden wirft ein Leitartikel der niederländischen Zeitung Trave die Frage auf: Wenn diese 400 Jahre alte Disziplin aus Geldmangel abgeschafft wird, woher sollen dann zukünftige Diplomaten ihr Wissen über die arabische Kultur beziehen?

Wissenschaftler äußerten sich zudem besorgt über die Auswirkungen der Entscheidung auf die zukünftige wissenschaftliche Forschung und Verständnis der arabischen Region. Ein Professor sagte: Wir riskieren eine Generation von Diplomaten und Politikern, denen selbst grundlegende Kenntnisse der arabischen Sprache und Kultur fehlen. Das ist in einer multipolaren Welt gefährlich.

Professor J.S. Fachmeijers, außerordentlicher Professor an der Fakultät für Islamische und Arabische Studien der Universität Utrecht und Koordinator des Master-Studiengangs Islam und Arabisch, ist der Ansicht, dass die Absicht, den Master-Studiengang Islamische und Arabische sowie Religionswissenschaften abzuschaffen ein unüberlegter und unklarer Plan und ein Zeichen mangelnder Vision ist. Er fügt hinzu: Den Themen dieser beiden Disziplinen wird große Aufmerksamkeit gewidmet, da es wichtig ist die arabische Welt zu kennen.

 

Von dieser Löschung bedrohte Felder

An den Universitäten Utrecht und Leiden drohen mehrere Sprachkurse, darunter auch Arabisch, abgeschafft zu werden. Die Universität Leiden genießt jedoch internationales Ansehen und verfügt über einen der ältesten Arabisch-Kurse Europas, der über 400 Jahre alt ist.

 

Universität Leiden Mushaf

Die Universitätsbibliothek Leiden verfügt in ihren orientalischen Sammlungen über mehrere Seiten aus einem sehr alten Koran. Dank der Kohlenstoff-14- Analyse scheinen die ältesten dieser Seiten aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts n. Chr. (das Jahrhundert des Beginns des Islams) zu stammen.

Karin Schipper, Expertin für Buch- und Papierkonservierung in Amsterdam mit einem Doktortitel in traditionellen islamischen Buchbindemethoden, sagt: Im Jahr 2011 starteten sie in Abstimmung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der französischen Nationalen Forschungsagentur das internationale Quranica-Projekt zur Erforschung der Geschichte früher Korantexte.

Sie fügte hinzu: Diese Forschung beschränkt sich nicht nur auf den Text des Manuskripts, sondern umfasst auch physische Fragmente, die mit der Kohlenstoff-14-Methode genau datiert werden können. Da diese Forschung teuer ist und nur in spezialisierten Labors durchgeführt werden kann, sagte die Universität Leiden „Ja“ als sie gebeten wurde an diesem Projekt teilzunehmen und eine Reihe unserer Korantexte zu analysieren.

Sie fuhr fort: Wir erhielten inzwischen die Testergebnisse. Das Datum dieses Papyrus-Fragments wurde auf einen Zeitraum zwischen 650 und 715 n. Chr. festgelegt, also mehr als ein Jahrhundert früher als bisher angenommen und der älteste auf dem Pergament geschriebene Text wurde wahrscheinlich zwischen 650 und 700 n. Chr. verfasst. Diese Untersuchung bestätigt das Alter und Bedeutung dieses Manuskripts , da der älteste Text etwa 30 bis 70 Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verfasst wurde.

Die Manuskriptexpertin fügte hinzu: Bislang hatten auf Pergament und Papyrus geschriebene Korantexte kein genaues Datum und das Papyrus-Fragment wurde ungefähr auf die Zeit zwischen 770 und 830 n. Chr. datiert. Wir wussten, dass die Leidener Fragmente sehr alt waren, basierend auf der langen schrägen arabischen Schrift, die als „Hidschas-Schrift“ bekannt ist, aber wir kannten ihr genaues Alter nicht.

 

Das ungewisse Schicksal der Arabistik und Islamwissenschaften an europäischen Universitäten

 

Streichung einiger Kurse an der Universität Utrecht

Die Universität Utrecht hat bestätigt, dass sie bis 2030 sechs Studiengänge streichen will, darunter Deutsch, Französisch, Arabisch, Italienisch, Islamwissenschaften, Keltische Kunst und Religionswissenschaften. Diese Studiengänge nehmen jährlich weniger als 25 neue Studierende auf und sind seit Jahren nicht mehr rentabel. Das bedeutet, dass ab dem 1. September keine neuen Studierenden mehr eingeschrieben werden.

Thomas Wissens, Dekan der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Utrecht erklärt: Der Grund dafür ist, dass wir immer noch viele Bereiche haben, die sehr teuer wurden. Mit den vom Kabinett angekündigten Haushaltskürzungen müssen wir unsere Kosten deutlich senken. Um weitere Defizite bis 2030 zu vermeiden, müssen wir unsere Kosten um 10 Prozent senken.

Professor J.S. Fachmeijers antwortet: Wenn die Nachrichten der letzten 20 Jahre deutlich machten, dass der Islam und die arabische Welt im Nahen Osten und in den Niederlanden große Sorgen bereiten, werden 2023-2024 die wichtigsten Jahre sein. Die Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Utrecht hat jedoch angekündigt, dass sie es im Rahmen eines Übergangsplans für notwendig hält sechs Bachelorstudiengänge, darunter Islamwissenschaften und Arabistik, zu streichen.

 

Reaktionen

Die Reaktionen in den sozialen Medien gehen weiter. Mathis Holman sagt: Leider sind Sprachstudien nicht sehr beliebt, aber ihr Mehrwert wird stark unterschätzt. Das Studium dieser Sprachen schafft Wissen über die jeweilige Kultur und bildet Berater aus, die Unternehmer beraten können, oder Übersetzer die Handbücher übersetzen. So haben wir Experten, die nützliche Informationen liefern können.

Holman fährt fort: Ich finde die Abschaffung der Fächer Deutsch und Französisch an der Universität Utrecht sehr schockierend! Die Tatsache, dass die Universität diese Studiengänge mit der Begründung ablehnt, sie seien nicht profitabel zeigt, dass das Ziel einer akademischen Institution, die seit vielen Jahren zu den 50 besten Universitäten der Welt zählt, Profit und nicht Wissen ist.

Während Professoren an den Universitäten Utrecht und Leiden versuchen, die Zahl der angebotenen Kurse zu reduzieren, um einen finanziellen Ausgleich zu erreichen, hoffen die Befürworter des Programms, dass die Entscheidung angesichts der akademischen und geopolitischen Bedeutung der arabischen Sprache überdacht wird.

Obwohl diese Entscheidungen noch geprüft werden und dem Universitätsrat in den kommenden Monaten eine endgültige Entscheidung vorgelegt werden soll, nehmen die Bedenken hinsichtlich der Umsetzung des Vorschlags mit der Zeit zu und daher nimmt auch die Welle der Kritik aus der Wissenschaft an dieser Entscheidung zu.

Übersetzt ins Persische von Fereshteh Seddiqi

Übertragen ins Deutsche von Stephan Schäfer

 

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