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30 Tage fasten – nicht 30-mal hintereinander einen Tag fasten

23:28 - April 18, 2021
Nachrichten-ID: 3004065
Nahrungsverzicht ist nur der Beginn des Fastens im Monat Ramadan – aber sogar das will gelernt sein. Unser aktuelles Fastenbrechen verfehlt zumeist den Sinn des körperlichen Fastens, ohne den das spirituelle Fasten nicht möglich ist.

Ein Beitrag von Huseyin Özoguz

Auf Nahrung und Wasser bis zum Abend zu verzichten, ist kein Fasten. Es ist nur der Raum des Fastens, in den der Reisende des Monats Gottes eintritt, um wahrlich zu fasten. Steht er im Raum, ohne seinen Zweck zu erfüllen, dann beschränkt sich sein Monat Ramadan auf Hunger und Durst und das Ersehnen des Fastenbrechens.

„Es gibt so manchen Fastenden, der von seinem Fasten keinen Nutzen außer Hunger und Durst hat, und es gibt so manchen (im Gebet) Stehenden, der von seinem (nächtlichen) Stehen (im Gebet) keinen Nutzen hat außer Schlaflosigkeit und Mühsal. Wie trefflich sind Schlaf und Nichtfasten der Scharfsinnigen!“ – Imam Ali (a.) [1]

Fatalerweise ist sogar unser äußeres Fasten mangelhaft und damit jede Voraussetzung für das wahre Fasten. Wir fasten nicht einmal körperlich 30 (oder 29) Tage, sondern wir fasten 30 Tage hintereinander jeweils einen Tag. Das ist nicht dasselbe.

Warum überhaupt körperlich fasten im Monat Ramadan, wenn das wahre Fasten ein seelisches ist?

„Der Satan fließt durch den Körper des Menschen wie sein Blut. Sperrt das Streifgebiet Satans ab durch Hunger.“ – Prophet Muhammad (s.) [2]

Nicht allein steuert die Seele den Körper, sondern es gibt eine Rückwirkung des Körpers auf die Seele: Eine ständige Sättigung erschwert es der Seele, Satan und seinen eigenen Trieben zu widerstehen, schwächt ihn im Dschihad-un-Nafs (Anstrengung der Seele). Dass das wahr ist, weiß jeder aufmerksame Selbstbeobachter. Warum es wahr ist, kann nur eine bisher unbekannte Wissenschaft der Verbindung von Seele und Körper freilegen, eine Erforschung des Bewusstseins, die bisher nicht zugänglich ist.

Das ist nicht alles. Muslime hören von Klein auf als häufigste Erklärung des Hungers die Empathie für unfreiwillige Hungernde, verarmte Menschen:

„Gott hat das Fasten verpflichtend gemacht, damit die Reichen und die Armen gleichgestellt werden. Wenn es kein Fasten gäbe, würden die Reichen niemals das Gefühl des Hungers erfahren, das sie dazu bringen würde, sich der Armen zu erbarmen, denn wann immer die Reichen etwas begehren, können sie es erwerben. So wollte Gott seine Diener auf die gleiche Stufe stellen, und dass die Reichen Hunger und Schmerz erfahren, damit sie Mitleid mit den Schwachen haben und sich der Hungrigen erbarmen.“ – Imam Sadiq (a.) [3]

Wie aber sieht unser Nahrungsverzicht im Monat Ramadan aus? Von der Morgendämmerung an essen und trinken wir nichts. Am Abend treffen wir uns zu einem Festessen mit drei verschiedenen Hauptgerichten, vielen Getränken und natürlich Nachtisch. Das „Fastenbrechen“ ist keine Unterbrechung des Hungers, kein Minimum für den Körper, der die Blockade Satans und die Empathie für die Armen aufrechterhält, sondern ein Gelage, dass uns auf Tag 1 zurücksetzt. Ganz abgesehen von nach jedem Maßstab übertriebenen Iftars, die einen aus dem heiligen Monat werfen.

Wie soll Satan aus dem Blut gereinigt werden, wenn der Körper in jeder Nacht des Fastenmonats stundenlang mit der Verdauung kämpft? Was ist das für ein Hohn auf die angebliche Empathie für Arme, wenn wir wenige Stunden auf Nahrung verzichten in Erwartung eines reichhaltigen Essens am Abend? Das ist kein dreißigtägiger Fastenmonat, sondern bestenfalls ein Monat von dreißig aufeinanderfolgenden Tagen, an denen wir einige Stunden nicht essen und trinken.

Ja, das religionsrechtliche Minimum ist erfüllt, mehr aber auch nicht. Von solch einem „Fasten“ kann man keinen Eintritt in Gottes Monat erwarten, keine Fesselung der Satane und keinen Segen der heiligen Schicksalsnacht.

Wenn wir das äußere Fasten ernst nähmen, dann würde es dreißig Tage Hunger bedeuten, dessen abendliches Fastenbrechen nicht mehr ist als ein notwendiges Auftanken, damit der Körper nicht seinen Dienst versagt. Das genaue Maß hängt vom jeweiligen Körper und seinem täglichen Dienst ab: Ein Mann von zwei Metern Größe und 150 Kilogramm Gewicht, der seine Familie als Bauarbeiter versorgt, wird mehr zwischentanken als ein Büromensch mit 60 Kilogramm. Trotzdem können wir festhalten: drei Datteln, eine Suppe und ein Teller Reis mit Soße werden für die meisten die obere Grenze sein. Die untere ist ein symbolisches Fastenbrechen mit wenigen Datteln alleine und ausreichend Wasser.

Dann erst werden wir einen Schimmer vom Alltag der Propheten Gottes haben: „Wenn du willst, dann will ich dir über Jesus, Sohn der Maria (a.), erzählen. Er nutzte gewöhnlich einen Stein als Kissen und trug grobe Kleidung. Er aß rohe Nahrung, und Hunger war sein Dauerzustand.“ – Imam Ali (a.)[4]

Wenn wir im Monat Gottes den Körper mit dem Notwendigen versorgen – nicht mehr –, dann fastet unser Körper wirklich einen Monat. Dann haben wir das Gewand des Fastens angelegt und erst dann wird die Seele bereit sein, in das wahre Fasten einzutreten. Und dann wird das Eid-ul-Fitr, das nach dreißig Tagen minimaler Nahrungszufuhr gemäßigt ausfallen muss, seinen Namen verdienen: Es ist nicht bloß das „Fest des Fastenbrechens“, sondern das „Fest des Fitrs“, und damit auch der verpflichtenden Armenabgabe – Zakat-ul-Fitr – zum Ende des Monats Ramadan.

Nahdsch-ul-Balagha, Weisheit 145. ↩︎

Kimiya’ye Sa’adat. Zitiert nach al-islam.org. ↩︎

Mahadscha al-Bayda. Zitiert nach al-islam.org. ↩︎

Nahdsch-ul-Balagha, 160. Predigt. ↩︎

 

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