Laut IQNA unter Berufung auf Rasif 22 ging Maged Atef, ein freiberuflicher ägyptischer Journalist und Mitglied des Washington Institute for Near East Affairs, in einer auf dieser Website veröffentlichten Notiz auf die Frage des Meinungswandels der Herrscher Saudi-Arabiens ein und antwortete auf islamischen Fragen und schrieb: „Mehrere Jahrzehnte lang war das Königreich Saudi-Arabien eine Bastion des religiösen Konservatismus und des Extremismus in der sunnitischen Religion – unter dem Einfluss der Ideologien von Scheich Muhammad bin Abdul Wahhab – bekannt als Wahhabismus.“
Die Situation änderte sich jedoch und jetzt sehen wir einen Kronprinzen, der Scheich Muhammad bin Abdul Wahab für nichts anderes als eine politische und militärische Persönlichkeit hält. Seiner Meinung nach (Bin Salman) liegt das Hauptproblem darin, dass seine Schüler zu dieser Zeit die einzigen waren, die lesen oder schreiben konnten und daher die Geschichte aus ihrer Sicht schrieben.
Saudi-Arabien machte einen bemerkenswerten Wandel durch und änderte seinen Kurs völlig. Sein Herrscher (der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman) stellt klar, dass die meisten Überlieferungen des Propheten, die von den Kanzeln reflektiert wurden unbestätigt sind und verworfen werden sollten: „Es gibt Zehntausende von Überlieferungen und die überwiegende Mehrheit davon ist nicht belegt.“ (also wirklich vom Propheten stammend). „Und viele nutzen sie um ihre Ansichten und ihr Handeln zu rechtfertigen.“
Er ist der Ansicht dass Muhammad bin Abdul Wahhab (Gründer des saudischen Denkens) nichts anderes als ein Militärbefehlshaber war dessen Männer in den weit verbreiteten Analphabetismus der Gesellschaft investierten und aus ihrer Sicht die Geschichte schufen.
Gibt es eine neue Version des Islam?
Unter Muslimen besteht die allgemeine Auffassung, dass der Islam konstant bleibt und keine unterschiedlichen Versionen hat und dass der Islam überall derselbe ist, wohin man auch geht. Tatsächlich trifft diese Behauptung zu, wenn man den Korantext und die religiösen Pflichten untersucht.
Allerdings umfassen die Grundsätze einer Religion – jeder Religion – ein viel größeres Spektrum als verpflichtende Handlungen und heilige Texte.
Muslime in Riad beten wie Muslime in Kairo und Pakistaner fasten gleichzeitig wie Muslime in Algerien. Dabei handelt es sich um Bräuche und Pflichten, über die es weder Streitigkeiten noch Unterschiede in der Umsetzung gibt.
Aber es geht um religiöse Ordnungen und Bräuche im täglichen Leben, bei denen wir die offensichtlichsten Unterschiede feststellen. Diese Unterscheidungen unterscheiden sich häufig von Zeit zu Zeit und von Land zu Land was zu unterschiedlichen Interpretationen und sogar zu widersprüchlichen Versionen des Islam in verschiedenen Kontexten führt.
Beispielsweise hielt Saudi-Arabien bis vor zwei Jahren an einem Fahrverbot für Frauen fest und führte dafür mehrere religiöse Gründe an. Andererseits galt das Fahren von Frauen in Ländern wie Ägypten oder sogar in den Nachbarländern am Persischen Golf nicht als verboten und wurde von muslimischen Gelehrten als zulässig angesehen.
Es stellt sich die Frage, ob das, was in Saudi-Arabien verboten ist in anderen Regionen zulässig ist, oder ob es sich hier um unterschiedliche Religionen handelt!?
Tatsächlich verbat Gott Frauen nicht das Autofahren und es waren die Religionsgelehrten, die diese Klassifizierungen auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretationen festlegten die von ihrem kulturellen Hintergrund beeinflusst waren. Darüber hinaus spielten die Wünsche der Herrscher und ihre politischen Programme im Laufe der Zeit eine wichtige Rolle bei der Bildung dieser Interpretationen. Infolgedessen sehen wir uns mit einer Reihe „verschiedenen Versionen des Islam“ konfrontiert, die im Wesentlichen gleich sind und einen gemeinsamen Kern haben sich jedoch auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Erscheinungsformen manifestieren.
Kultur der Öldollars
Am 10. August 1932 unternahm Abdul Aziz Al Saud einen grundlegenden Schritt indem er den Namen dieses Territoriums von „Königreich Hijaz und Najd und seine abhängigen Gebiete“ in „Königreich Saudi-Arabien“ änderte. Diese Veränderung folgte seiner Machtkonsolidierung auf der gesamten Arabischen Halbinsel und seinem Sieg über Prinz Ajlan aus der Al-Rashid-Dynastie.
Ein Jahr nach seiner Thronbesteigung unterzeichnete Abdulaziz eine Vereinbarung, die Standard Oil of California Ölexplorationskonzessionen gewährte, was den Beginn der Entwicklung Saudi-Arabiens zu enormem Reichtum markierte.
Der beispiellose Reichtum, der aus dem Boden Saudi-Arabiens hervorging, ging mit dem Wunsch einher Einfluss auf die Region zu nehmen und andere Zentren zu dominieren insbesondere Kairo, das mit aufeinanderfolgenden Wirtschaftskrisen zu kämpfen hatte.
Ab den 1970er Jahren rückte der astronomische Anstieg der Ölpreise zusammen mit dem massiven Zustrom von Wanderarbeitern in das Königreich die „saudische Kultur“ in den Vordergrund der regionalen Szene. Infolgedessen begann sich die „saudische Interpretation“ des sunnitischen Islam auszubreiten und drang nach und nach in andere arabische Nationen ein.
Man kann argumentieren, dass einer der größten Misserfolge, die Kairo als regionales historisches Zentrum erlitt die erfolgreiche Infiltration der saudischen Kultur in die Straßen Ägyptens war. Dieser Einfluss führte dazu, dass der wahhabitische/salafitische Islam die Landschaft (des Islam) dominierte und alles andere fälschlicherweise als Abweichung vom Weg des Propheten (Friede sei mit ihm) bezeichnete.
Auf diese Weise wurde aus dem einfachen „Bart und Schnurrbart“ ein religiöser „Bart ohne Schnurrbart“ und das traditionelle „Guten Morgen“ wurde durch das eher islamische „Salaam Alaikum“ ersetzt. Armbanduhren wurden nur an der rechten Hand getragen was (so hieß es) der Art und Weise des Propheten des Islam ähnelte.
Im Laufe der Zeit machte die saudische Version des sunnitischen [salafitischen] Islam bedeutende Fortschritte im kulturellen Bereich was manchmal als „Soft Power“ bezeichnet wird. Kairo stellte die Ausbildung von Koranrezitatoren ein, weil Saudi-Arabiens „Al-Hatif-, Al-Sudis- und Al-Ajmi“-Kassetten die Straßen Ägyptens überschwemmten. Unterdessen beschränkten sich die Stimmen von Abd al-Basit Abd al-Samad und al-Manshawi Masri auf Koranprogrammen während die Stimmen saudischer Rezitatoren in Moscheen, Geschäften und Autos widerhallten.
Der letzte Meilenstein war das Kunstverbot und das Beharren auf dem Kopftuch für Künstlerinnen und Schauspielerinnen und die Saudis förderten damit das was sie in Ägypten „reines Kino“ nannten.
Durch diese Taktik gelang es der saudischen Version ihre Präsenz und Dominanz auf arabischen Straßen über mehr als drei Jahrzehnte hinweg zu festigen und zu stärken, indem sie Milliarden von Dollar ausgab, um ihre Ziele zu erreichen.
Der Islam im nächsten Jahrzehnt
Die aktuellen Entwicklungen in Saudi-Arabien können nicht nur als innenpolitische Angelegenheit betrachtet werden. Stattdessen stehen wir vor überraschenden und dramatischen Veränderungen, die das etablierte islamische Kulturnarrativ, das einst die Gedanken von Millionen Muslimen in der arabischen Welt beherrschte grundlegend in Frage stellen.
Sogar Persönlichkeiten wie Adel al-Kalbani, der Imam der Großen Moschee, der persönlich in einer Werbekampagne für eine Unterhaltungsveranstaltung in Riad auftritt, ist ein Beispiel für einen Trend, der sich über seine unmittelbaren Folgen hinaus manifestiert. Daneben gibt es den offenen Raum des neuen Königreichs der durch Persönlichkeiten wie Turki Al-Sheikh (Chef der saudischen Wohlfahrtsbehörde), Kunst, Musikkonzerte und dergleichen repräsentiert wird.
Auf die gleiche Weise ist Kunst vom Verbotenen zum Erlaubten geworden und was einst verboten war, ist jetzt zulässig und die Anwesenheit von Frauen neben Männern im öffentlichen Raum, die einst verpönt war, wird jetzt akzeptiert.
Im Wesentlichen ist die vom Königreich in den letzten vier Jahrzehnten verbreitete „islamische Version“ unter dem Einfluss von Mohammed bin Salman im Niedergang begriffen. Diese Änderung öffnet die Tür zu einer neuen Interpretation des Islam im Königreich, die die Zulässigkeit betont im Gegensatz zur älteren Version, die von Verboten dominiert wurde.
Die Akzeptanz dieser neuen Version dürfte für relativ ältere Generationen, die tief in salafistischen Ideologien verwurzelt sind, nicht einfach sein. Es wird zweifellos eine Herausforderung sein diejenigen, die ihr ganzes Leben lang mit bestimmten Ideen genährt und gefördert wurden, davon zu überzeugen, dass dies nicht das einzige Gesicht des Islam ist und dass die Religion noch andere Dimensionen hat.
Es ist jedoch sicher, dass die alte Version stillschweigend zurücktreten wird indem die finanzielle Unterstützung Saudi-Arabiens aus den Kanälen entfernt wird, die diese Ideen fördern und den Weg für eine neue weniger starre Version ebnen wird und deren Auswirkungen auf zukünftige Generationen haben. Diejenigen, die die Beeinflussung von salafistische Scheichs wie „Suleiman Al-Ayouni“ und „Mohammed Yaqoub“, die Zerstörung von Gräbern und religiösen Schreinen anordneten, nicht erlebten oder miterlebten.
Übersetzt ins Persische von Mohammad Hasan Gudarzi
Übertragen vom Persischen ins Deutsche: Stephan Schäfer
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