
Christopher Paul Clohessy, Professor für Schiitische Studien, absolvierte sein Grund- und Aufbaustudium an der Päpstlichen Universität Urbanianum in Rom / Italien und promovierte an der Päpstlichen Universität für Arabische und Islamische Studien (PISAI) im Vatikan.
Er lehrt derzeit an dieser Universität schiitische Theologie und Geschichte Koranstudien, islamische Ethik und den Dialog zwischen Islam und Christentum
Er ist Autor von: „Fatima, Tochter Mohammeds“ (Erstauflage 2009; zweite Auflage 2018); „Die Hälfte meines Herzens: Erzählungen von Zaynab, Tochter von Ali“ (2018); und „Engel eilen herbei: Träume von Karbala“ (2021). Für die ersten beiden Werke wurde er 2021 mit dem Buchpreis der Islamischen Republik ausgezeichnet.
In einem Interview mit IQNA sprach der Autor und Professor an der Vatikanischen Universität über sein Interesse an der Person der heiligen Fatima (Friede sei mit ihr) und über sein Buch zu diesem Thema. Den vollständigen Text des Interviews finden Sie im Folgenden:
IQNA – Sie sind ein katholischer Priester, der eine ausführliche wissenschaftliche Arbeit über die edle Fatima (Friede sei mit ihr) verfasste. Was zog Sie persönlich und spirituell an ihrem Charakter und ihrem Leben an?
Ich promovierte hier in Rom an der Vatikanischen Universität in Arabistik und Islamwissenschaft und hatte ursprünglich vor meine Dissertation über Imam Hussein (Friede sei mit ihm) zu schreiben. Als christlicher Theologe wollte ich ein Verständnis der christlichen Theologie entwickeln, das sich auch in einigen Persönlichkeitsmerkmalen von Imam Hussein (Friede sei mit ihm) widerspiegelt. Als ich über die Mutter dieses Imams Fatima (Friede sei mit den beiden) las war ich völlig schockiert, denn mir wurde klar, dass fast nichts über sie geschrieben worden war! Zumindest gab es keine wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema.
Es gab zahlreiche persische und arabische Bücher, die ihre Tugenden und Leben priesen, doch existierte keine wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema, die auf arabischen Primärquellen basierte. Daher beschloss ich meinen Weg zu ändern. Zwar nur für kurze Zeit, doch ich unterbrach meine Forschung zu Imam Hussain und verfasste meine Dissertation über die edle Fatima (Friede sei mit ihr) als wissenschaftliche Arbeit für ein westliches Publikum. Sie stützte sich dabei auf die ältesten sunnitischen und schiitischen arabischen Quellen und schuf so, wie ich glaube, die erste wahre Biografie.
Es gibt vermutlich noch andere Quellen, aber ich glaube mein Buch war das erste seiner Art, erschienen Anfang der 2000er Jahre. Es ist also schon viele Jahre her.
IQNA - Glauben Sie, dass Ihnen Ihre Nicht-Muslim-Identität einen Einblick in das Leben der edlen Fatima (Friede sei mit ihr) ermöglichte, der für Menschen, die an diese Religion glauben, möglicherweise schwierig ist?
Als Nicht-Muslim, der sich allgemein mit dem Islam beschäftigt (mein Spezialgebiet ist der Schiismus), konnte ich mich bisher aus den Kontroversen und sektiererischen Strömungen heraushalten. Beispielsweise wird die Frage der Usurpation Fadaks und Fatimas (Friede sei mit ihr) diesbezügliche Ansprüche eher in schiitischen als in sunnitischen Büchern behandelt. Es handelt sich um eine schwierige juristische und zugleich kontroverse Frage. Fatimas Rolle am Ende des Lebens ihres Vaters, als ihr Mann Ali zugunsten Abu Bakrs ins Abseits gedrängt wurde, ist ein höchst umstrittener und schwer zu untersuchender Teil der Geschichte. Daher denke ich, dass ich als Außenstehender dem Thema mit einer gewissen Ausgewogenheit und Stabilität begegnen kann. Das heißt nicht, dass sunnitische und schiitische Theologen dies nicht auch könnten, aber ich glaube für jemanden außerhalb dieses Fachgebiets ist es einfacher.
IQNA – Wenn Sie Lady Fatima einem nicht-muslimischen Publikum in einem Absatz vorstellen sollten, wie würden Sie sie beschreiben?
Ich denke, sie ist Vorbild für alle Menschen, nicht nur für Muslime, sondern für alle ehrlichen Menschen. Ehrlichkeit ist eine Tugend, die in der heutigen Welt leider fehlt. Wir sind mit einer Unmenge an Falschmeldungen und Lügen konfrontiert.
Ich glaube das Leben von Fatima war von einer Reihe von Tugenden geprägt. Erstens ihre Hingabe zu Gott und das Gesetz und Gebote Gottes. Zweitens ihre Treue zu ihrem Vater als Prediger und Prophet. Und drittens ihr unerschütterliches Eintreten für Gerechtigkeit, selbst als sie fast allein war. Es war nicht so als hätte sie am Ende des Lebens des Propheten eine riesige Anhängerschaft, die ihr beistand. Diese Tugend für das Richtige einzustehen, selbst wenn wir die Einzigen sind, die dafür einstehen, ist für mich die wichtigste Botschaft ihres Lebens.
IQNA – Was ist Ihrer Meinung nach die Essenz des Vermächtnisses der edlen Fatima (Friede sei mit ihr) für muslimische Frauen heute und für gläubige Frauen im Allgemeinen?
Beim Lesen von Shariatis berühmtem Werk „Fatima ist Fatima“ wurde mir bewusst, dass ich ihm nicht gänzlich zustimme. Ich glaube er hatte eine bestimmte Sicht auf Fatima und Frauen im Allgemeinen: Er sah sie als Wesen, die bestimmte weibliche Tugenden in ihrem Leben verkörpern sollten. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass Fatima das einzige Vorbild weiblicher Tugenden ist. Sie lebte menschliche Tugenden: Mut, Tapferkeit und Ehrlichkeit. Diese Tugenden sind weder rein männlich noch rein weiblich. Es sind Tugenden, die alle Menschen praktizieren sollten. Anstatt also zu sagen, dass nur muslimische Frauen Fatima nacheifern sollten, eben weil sie eine Frau ist, sollten wir sie als Vorbild für alle Menschen inklusive anerkennen.
Ich denke jedoch, dass ihre unerschütterliche Treue zum Gesetz Gottes, ihre Treue zu ihrem Vater und seiner Frau, ihr Opfer für ihre Familie, ihr Mut im Kampf für Gerechtigkeit allesamt Tugenden sind, nach denen jeder Mensch inklusive streben sollte! Denn wer möchte nicht loyal, tugendhaft und mutig sein?
IQNA – Als Priester, der die im Islam am meisten verehrte Tochter erforschte: Hat sich Ihr Verständnis von Themen wie Mutterschaft, Trauer oder Heiligkeit beim Schreiben Ihres Buches auf unerwartete Weise verändert?
Richtig! Ich bin heute viel älter als damals als ich über Fatima (s.a.) schrieb und las seitdem viele Texte, nicht nur über Fatima (s.a.), sondern vor allem über Zaynab (a.), die für mich eine Art Vorbild ist. Aber auch durch Hören und Lesen einiger Gebete, Klagelieder und Trauergesänge der Schiiten gewann ich ein tieferes Verständnis für die Menschheit, für das Leid das Menschen durchmachen ohne dass wir es oft bemerken. Dass wir täglich Menschen begegnen und keine Ahnung von ihrem Schmerz und inneren Qualen haben.
Ich finde das Leben der edlen Fatima (Friede sei mit ihr), die schon in jungen Jahren mitunter schwer krank war und dennoch standhaft blieb, sehr wichtig. Auch das Leben ihrer Tochter, Lady Zainab, öffnete mir im Laufe der Jahre die Augen für den Kampf der Menschheit und zeigte mir, dass christliche und muslimische Heilige alle dieselben Tugenden verkörpern und ähnliche Kämpfe austrugen.
IQNA - Wenn Sie dieses Thema heute mit dem Wissen, das Sie im Laufe der Jahre gewannen erneut aufgreifen würden, gäbe es etwas das Sie an Ihrem Bild der edlen Fatima (Friede sei mit ihr) überarbeiten, hinzufügen oder ändern möchten?
Wenn ich das täte würde ich vieles ausführlicher erklären, denn ich war noch ein junger Wissenschaftler als ich das Buch schrieb. Mein Arabisch ist heute viel besser als damals. Ich habe Zugang zu deutlich mehr Quellen als zu der Zeit. Damals hatten wir kein Internet um einfach auf arabische Texte zuzugreifen. Ich werde sicherlich viel aus ihrem Leben und ihren Tugenden in mein Buch aufnehmen. Ich sprach einige aus meiner Sicht wichtige Ereignisse bereits kurz an, aber denke ich werde definitiv einen zweiten Band über Fatima (s.a.) schreiben, der weitere Ereignisse aus ihrem Leben und wichtige Aussagen über sie enthält, die ich im ersten Band nicht berücksichtigte.
Ich überdachte auch einige Aspekte im Zusammenhang mit ihr noch einmal und festigte meine Gedanken zu Themen wie Fadak, die im Buch nicht ausreichend behandelt wurden. Denn dieses Buch handelte nicht von Fadak, sondern von Fatima (s). Ich werde nun sicherlich weitere Informationen hinzufügen, da es in arabischen Texten viel mehr Material über sie gibt.
IQNA – Hast du schon mit dem Schreiben dieses Buches begonnen oder ist es Teil deiner Zukunftspläne?
Nein. Seit ich das Buch über Fatima schrieb habe ich drei weitere Bücher veröffentlicht und arbeite derzeit am fünften, dem zweiten Band meines Buches über Zaynab. Darin untersuche ich ihre beiden Protestpredigten, eine in Kufa und die andere in Damaskus, und füge eine theologische Reflexion darüber hinzu. Ich schließe also gerade das Buch ab und werde dann den zweiten Band über Fatima schreiben. Darin korrigiere ich einige Punkte, die mir neu auffielen und ergänze das Buch um viele Details aus ihrem Alltag und ihren täglichen Kämpfen.
IQNA – Wenn die edle Fatima zu den Menschen der Welt, Anhängern aller Religionen, sprechen könnte, was würde sie ihnen Ihrer Meinung nach sagen?
Ich bin sicher, dass sie den Menschen eine Botschaft der Ehrlichkeit vermitteln würde. Ehrlichkeit ist schließlich die allerhöchste Tugend. Wer ehrlich lebt, dem folgen alle anderen Tugenden von selbst. Wenn wir Gott, seinen Geboten und Gerechtigkeit treu bleiben, bin ich absolut überzeugt, dass die Welt genau das am dringendsten braucht. Und ich denke sie würde im Grunde dasselbe sagen wie damals, als sie in der Moschee gegen die Fadak-Affäre und Absetzung Imam Alis protestierte.
Ich denke sie wird etwas ganz anderes sagen als zu Beginn ihrer Rede und deshalb sieht man, dass Lady Zainab, wenn sie aufsteht und spricht, fast den Tonfall und Worte ihrer Mutter wiederholt, denn dies ist nicht Lady Fatimas Botschaft, sondern eine universelle Botschaft an alle Menschen und ich glaube Lady Fatima würde daher genau dasselbe sagen.
Das Interview führte Mohammad Ali Haghshenas