IQNA

Palästinensischer Analyst im Interview mit IQNA:

Von Entwaffnung des Widerstands zu sprechen nichts weiter als Fantasie!

13:33 - November 02, 2025
Nachrichten-ID: 3013850
IQNA- Adnan Al-Sabah wies darauf hin, dass die Rede von Entwaffnung des Widerstands nichts weiter als Illusion ist, da sie bedeutet den Menschen ihren Willen und ihre Identität zu rauben und stellte klar: Die Waffe des Widerstands kann zwei Schicksale haben: Entweder dient sie der Freiheit und Würde der Nationen oder die Erde wird ihrer freien Menschen beraubt! Solange Besatzung und Aggression andauern ist die Waffe des Widerstands legitim und von Dauer!

Während der Telefonkonferenzen der Vermittler erklärte das zionistische Regime, es müsse zunächst die restlichen Leichen seiner Gefangenen im Gazastreifen vollständig in Empfang nehmen bevor es der zweiten Verhandlungsphase zustimme. Gruppen Palästinas lehnten diese Bedingung jedoch ab und forderten die Vermittler auf die US-Regierung zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bewegen und Israel zur Umsetzung der Abkommen zu zwingen!

Die zweite Phase des Waffenstillstandsabkommens, die in der ägyptischen Stadt Sharm el-Sheikh unterzeichnet wurde, betont den Beginn der Verhandlungen der zweiten Phase in denen die Zukunft des Gazastreifens und der Institution, die für die Verwaltung des Gazastreifens zuständig sein wird sowie das Schicksal der Waffen des Widerstands im Gazastreifen erörtert werden sollen.

Während sich alle Aufmerksamkeit auf die Aufrechterhaltung des fragilen Waffenstillstands im Gazastreifen , Austausch von Gefangenenleichen, Entsendung humanitärer Hilfe und Reduzierung der Spannungen konzentriert, betonte die Weltgesundheitsorganisation gleichzeitig, dass die Situation weiterhin katastrophal ist.

Adnan Al-Sabah, Schriftsteller Palästinas und politischer Analyst sprach mit IQNA über die jüngsten Entwicklungen im Gazastreifen und neuesten Schritte des israelischen Regimes mit grünem Licht der USA.

Adnan Al-Sabah ist erfahrener Intellektueller und Journalist Palästinas sowie Leiter des Jenin Media Center. Er ist Gründer und Präsident der Internationalen Kampagne zur Dokumentation von Kriegsverbrechen und Gründungsmitglied des Schriftstellerverbands Palästinas in Jerusalem, dessen Vorstand er mehrere Amtszeiten angehörte. Zu seinen Werken zählen „Gedanken, Bewusstsein des Handelns“, „Briefe eines Palästinensers an eine Frau in der Ferne“, „Der Araber zwischen Personalisierung und Kollektivismus“ und „Der Weg von Brot und Eisen“.

 

Das vollständige Interview im Folgenden:

IQNA – Einige arabische Regime setzen heute auf die Rolle der USA und den von Trump angekündigten „Friedensplan“. Was ist Ihrer Meinung nach das tatsächliche politische Ziel dieser Initiative? Kann sie, wie ihre Befürworter behaupten, zum Ende des Krieges und zum Beginn des Friedens führen?

Das US-Projekt basiert im Wesentlichen darauf der Welt aus dem Inneren heraus den Krieg zu erklären. Die USA streben danach eine neue Welt zu errichten – eine Welt unter ihrer Herrschaft und Kontrolle, nicht durch Regulierung gleichberechtigter Beziehungen, sondern durch Vernichtung anderer! Dieses Hegemonialstreben erscheint verständlich im Kontext der Entwicklungen des Wissenszeitalters, in dem die Wissensökonomie zu einem Instrument des US-epistemischen Imperialismus wurde.

USA sollte daher nicht als Friedensstifter betrachtet werden! Im Gegenteil! Es legt den Grundstein für ein Netzwerk von Kriegen mit neuen Formen und Mustern. Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland ist in Wirklichkeit ein US-Krieg, der mit fremden Mitteln geführt wird: Die Ukraine kämpft im Auftrag Washingtons, Europa trägt die Kosten und die Gewinne fließen letztendlich in die US-Staatskasse. Das Ergebnis ist Schwächung Russlands und gleichzeitig wirtschaftliche Erosion Europas!

Im Nahen Osten veränderten die USA die Kriegsführung und schürten künstliche Konflikte zwischen lokalen Akteuren  – zwischen der libanesischen Regierung und dem Widerstand (Hisbollah), zwischen Ansarallah und Söldnern im Jemen sowie zwischen Regierung und Widerstandskräften im Irak und in Syrien. Die Folge ist Zerstörung der nationalen und wirtschaftlichen Strukturen dieser Länder und Ausweitung des direkten US-Einflussbereichs.

Washington versucht seinen Einfluss auf dem Landweg vom besetzten Palästina bis in den Südkaukasus und hinter die russische und iranische Front auszudehnen, mit Plänen wie dem David-Korridor und dem Zinzur-Korridor, der fälschlicherweise als „Trump-Friedensplan“ bezeichnet wurde. Im Irak und im Iran strebt es zudem danach die Widerstandsachse durch fortgesetzte Sanktionen und die Schürung interner Konflikte einzudämmen und zu schwächen.

Von Lateinamerika bis Afrika und von Südasien bis zum Südchinesischen Meer versucht Washington alle Rivalen – von China bis Europa – einzubinden und zu zermürben, um die unangefochtene Führungsrolle im globalen System zu behalten, entweder durch Anstiften von Konflikten (wie etwa zwischen Indien und Pakistan oder Syrien, Libyen und Sudan) oder durch Bildung militärischer Bündnisse (wie etwa AUKUS).

Trump machte diese Philosophie deutlich: „Der beste Krieg ist der den man nicht führt und gewinnt!“ Sie wollen Frieden mit Gewalt und durch Kapitulation anderer. All diese Pläne verfolgen ein Ziel: Die Achse des Widerstands zu zerschlagen und Irans Rolle in der Region zu eliminieren, um so den Weg für das US-Imperium zu ebnen.

 

IQNA – Die Hamas soll sich mit vollem Vertrauen und Entschlossenheit für die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens einsetzen, obwohl dieser brüchig ist und das zionistische Regime eine lange lange Geschichte von Abkommensbrüchen aufweist. Wie beurteilen Sie die Zukunft dieses Prozesses?

Ich glaube nicht, dass dieses Abkommen ein besseres Schicksal haben wird als frühere. Ein Blick auf die Erfahrungen im Libanon im November 2024 oder auf den syrischen Fall genügt vollkommen: Von den Absprachen zwischen der Golani-Gruppe und der syrischen Regierung bis hin zum Verhältnis der SDF zu den USA und der Türkei – nichts davon führte zu Stabilität. In verschiedenen Regionen Syriens, vom Dschab al-Arab bis in den Osten und Nordosten des Landes, führte die Präsenz der USA und ihrer Verbündeten lediglich zur Eskalation der Konflikte!

Washingtons Politik ist überall dieselbe: Wir kämpfen nicht selbst, wir zwingen andere dazu gegeneinander zu kämpfen und selbst spielen die Rolle des Beobachters und Waffenlieferanten. Im Fall von Gaza wurden von Anfang an keine ernsthaften Bestimmungen des Waffenstillstands umgesetzt: Weder Öffnung der Grenzübergänge noch Einfuhr von Hilfsgütern noch Umsiedlung von Flüchtlingen. Der Anteil von Nahrungsmitteln an der gesamten eingehenden Hilfe mag zwar 15 Prozent erreichen, doch Versorgung mit Wasser, Strom, Unterkünften und Wiederaufbau der zerstörten Gebiete bleiben weiterhin ungelöst.

Die Ausrede der „Leichen“ dient als Druckmittel gegen den Widerstand, während die israelische Armee womöglich selbst einige der Leichen besitzt und sie versteckt, um die Krise am Leben zu erhalten. Letztendlich ist nur der Widerstand dem Waffenstillstand wirklich verpflichtet, da er die Beendigung des Blutbads als humanitäre Notwendigkeit ansieht. Doch Washington gab seine Hauptziele noch nicht auf: Kontrolle über Gaza und dessen Umwandlung in einen regionalen Militärstützpunkt! Trumps Ankündigung Palästinenser in die Wüsten Ägyptens und Jordaniens zu verlegen bleibt ihre zentrale Politik! Die Zukunft des Abkommens hängt allein vom Durchhaltevermögen des Widerstands und seiner Fähigkeit ab eine regionale Front gegen dieses Vorhaben zu bilden – eine Front, die aus dem „Al-Aqsa-Sturm“ und zwei Jahren ununterbrochenen Widerstands hervorging!

 

IQNA – Ein Teil des Abkommens ist an die Freilassung von Gefangenen geknüpft, doch manche befürchten, dass Israel das Abkommen brechen wird, sobald dieser Teil erfüllt ist. Ist es möglich, dass der zionistische Feind alles wieder zunichte macht?

Das zionistische Regime hat grundsätzlich kein Interesse an der vollständigen Freilassung der Gefangenen, denn Lügen und Täuschung gehören zu seinem Wesen. Möglicherweise fand es sogar selbst einige Leichen und versteckte diese, um die Krise mit dem Schema „Vermisste“ aufrechtzuerhalten. Andererseits gibt es keinerlei Anzeichen für den Wunsch nach einem tatsächlichen Rückzug aus Gaza. Ankunft von 200 US-Offizieren in den besetzten Gebieten unter dem Deckmantel des „Zivil-Militärischen Koordinierungszentrums“ dient nicht der Überwachung des Waffenstillstands, sondern Errichtung permanenter Präsenz. Mehr als sechzig Verstöße gegen den Waffenstillstand wurden registriert und das Regime ergriff keinerlei praktische Maßnahmen.

Im Gegensatz zur Propaganda über einen Staat Palästina gibt es im aktuellen Plan keinerlei Anzeichen für dessen Verwirklichung. Ziel ist vollständige Abtrennung des Gazastreifens vom Gebiet Palästinas und Eliminierung der Rolle Jerusalems. Auch im Westjordanland wird eine faktische Kontrolle angestrebt, ohne dass eine formelle Annexion erklärt wurde. Im Gazastreifen gibt es zudem systematische Bemühungen Söldner- und paramilitärische Gruppen zur Bekämpfung des Widerstands aufzubauen – dieselben, die angeblich von den USA unter dem Namen „Gaza-Stabilitätstruppe“ unterstützt werden. Der Plan ist darauf ausgelegt interne Konflikte zu schüren und die Verantwortung der Besatzungsmacht zu leugnen. Sollten die Kräfte Palästinas keine echte Einheit, keine einheitliche Führung und keine gemeinsame nationale Vision erreichen sind alle Errungenschaften der letzten zwei Jahre in Gefahr!

 

IQNA – Wird sich das zionistische Regime nach dem Waffenstillstand tatsächlich an einen vollständigen Rückzug aus Gaza halten? Und können Washington oder Trump als unparteiische Vermittler und Garanten des Abkommens gelten?

Die USA waren in keinem Krieg jemals neutraler Vermittler! Genau wie sie sich im Ukraine-Krieg als Vermittler ausgaben während sie gleichzeitig direkt intervenierten, spielen sie im Palästina-Konflikt exakt dieselbe Rolle. Dieses Land versorgte das Besatzungsregime mit tödlichen Waffen, bewahrte es durch sein Veto vor jeglicher Verurteilung in der UN und bestätigte die Besetzung Jerusalems, der Golanhöhen und des Ölbergs offiziell als „anerkannte Tatsache“.

Die USA schwiegen zur Besetzung des Libanon und Syriens und drohten im Namen Israels sogar der israelischen Regierung in Beirut im gemeinsamen Fünf-Parteien-Ausschuss für den Libanon. Fakt ist: Die endgültige Entscheidung fällt nicht in Tel Aviv, sondern in Washington! Kein anderes Land hat einen Präsidenten, Verteidigungsminister und Außenminister, die an den Sitzungen des Kriegskabinetts eines anderen Landes teilnehmen! Doch genau das geschah im jüngsten Krieg Israels! Persönlichkeiten wie Kushner und Whittaker waren bei den Sitzungen des Tel Aviver Kriegskabinetts anwesend und spielten eine direkte Rolle bei der Planung militärischer Operationen. Daher sind die USA weder Vermittler noch Garant des Friedens! Vielmehr der Hauptauftraggeber des „Söldnerkillers“, also des zionistischen Regimes. Dieses Land ist verantwortlich für das Projekt von Krieg, Zerstörung und Plünderung im Nahen Osten! Ein Projekt dessen Endziel die Beherrschung des Nahen Ostens und damit der gesamten Welt ist.

 

IQNA – Manche glauben die aktuelle Phase habe ein neues Gleichgewicht zwischen der Achse des Widerstands und der Achse des Kompromisses geschaffen. Wie stellen Sie sich die Zukunft dieser Situation vor?

Heute steht die Welt an zwei Fronten: Der Widerstandsfront einerseits und der US-zionistischen Front mit ihren Verbündeten andererseits. Der jüngste Krieg veränderte die Zusammensetzung dieser Fronten und politische Landkarte der Region grundlegend. Im Nahen Osten sind zwei neue Achsen entstanden: Die erste Achse bilden die sogenannten Garantiemächte Ägypten, Türkei und Katar, die obwohl mit ausgewogene Beziehungen zu den USA, sich aufgrund der zunehmenden Bedrohung durch das zionistische Regime dem Widerstand annäherten. Ihnen gegenüber steht eine weitere Achse, bestehend aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Teilen der offiziellen libanesischen Strukturen, die versucht ihren Einfluss beim Wiederaufbau des Gazastreifens durch finanzielle Unterstützung auszuweiten.

Jordaniens Rolle ist hierbei entscheidend, denn sein Schicksal ist ebenso eng mit dem Westjordanland verknüpft wie das Ägyptens mit dem Gazastreifen. Das Zögern oder der Positionswechsel der Omaner könnte darüber entscheiden, ob sich die Autonomiebehörde Palästinas der Achse Kairos oder der Achse Riad anschließt. Eine ähnlich komplexe Situation entwickelt sich in Syrien: Werden sich die von Julani geführten bewaffneten Gruppen der saudischen oder der türkischen Achse anschließen? Neben diesen wechselnden Allianzen wurde der Widerstand Palästinas heute zu einer beständigen Säule der Widerstandsachse. Seine Verbindungen zum Libanon, Jemen, Irak und Iran sind nicht mehr nur politischer, sondern menschlicher und blutiger Natur.

Das Blut gefallener Kommandeure und Mudschaheddin auf gemeinsamen Schlachtfeldern verdeutlicht die Tiefe und Bedeutung dieser Einheit. Von Lateinamerika und Afrika bis Asien schließen sich Nationen und Regierungen einer humanen und zu Gerechtigkeit orientierten Front gegen die US-Hegemonie an. Gelingt es dem Iran seine Philosophie und seinen Diskurs des Widerstands – basierend auf Gerechtigkeit, Beseitigung von Unterdrückung und Schutz Unterdrückter – in einer globalen Sprache auszudrücken, werden wir Zeugen der Entstehung eines neuen Phänomens: Keiner bipolaren Welt, sondern einer Welt mit zwei einander gegenüberliegenden Fronten! Einer auf der Achse des Widerstands und der anderen auf der Achse der US-Hegemonie. In diesem Fall könnten auch Russland, China und sogar Teile Europas an der Front der globalen Gerechtigkeit stehen. Die Zukunft des Kampfes ist nicht länger rein regional! Er nahm eine zivilisatorische Dimension an.

 

IQNA – Die USA und Israel arbeiten daran den islamischen Widerstand in der Region zu entwaffnen. Welche Strategie verfolgt der Iran unter diesen Umständen und ist es möglich, dass die Waffe des Widerstands zerstört wird?

Meiner Meinung nach ist die Rede von Entwaffnung des Widerstands reine Illusion, denn sie bedeutet den Menschen ihren Willen und ihre Identität zu rauben. Ist es USA in einem Jahrzehnt Krieg gelungen die Waffen der jemenitischen Revolution zu erobern? Einem armen, belagerten Land, das jahrelang im Feuer des Krieges lebte und dennoch standhaft blieb. (Bemerkung: gemäß Statistiken gehört Jemen zu den ärmsten Ländern der Welt überhaupt!!) Oder ist es ihnen gelungen den Iran in einem zwölftägigen Krieg gegen sich selbst und das zionistische Regime in die Knie zu zwingen? Niemals!! Daher bedeutet Entwaffnung des Widerstands in der Praxis Zerstörung der Bevölkerung dieser Länder. Solange die Menschen in Gaza, Libanon, Irak und Jemen existieren, wird es auch den Widerstand und seine Waffen geben! Beides ist untrennbar miteinander verbunden!!

Die Waffe des Widerstands kann zwei Schicksale haben: Entweder sie wird zu einer freien und unabhängigen nationalen Waffe, die der Freiheit und Würde der Nationen dient oder die Erde wird von freien Menschen entvölkert! Solange Besatzung und Aggression andauern ist die Waffe des Widerstands legitim und von Dauer. An dem Tag an dem Freiheit, Unabhängigkeit und volle Rechte der Nationen verwirklicht sind, wird dieselbe Waffe im Dienste des freien Vaterlandes stehen! Doch wenn die Feinde das Volk unterdrücken und zur Kapitulation zwingen können wird die Waffe zu einem Instrument der Herrschaft. Solange Nationen existieren, existiert auch ihre Waffe! Denn sie ist eine Waffe der Freiheit, nicht des Krieges!!

 

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